Schrumpfkuren

Es ist Fastenzeit! Für die gläubigen Christen unter uns eine Zeit der Buße, der inneren Einkehr und der rituellen Speisegebote. Die Säkularen berührt das wenig. Ihr Wissen um das rituell-liturgische Fasten ist nur noch rudimentär und letztlich nur eine ferne Erinnerung an die Zeit der großen Hungerkrisen des vorindustriellen Zeitalters. Dass das kollektive Fasten in unserer Gegenwart dennoch wieder en vogue ist, hat durchaus etwas mit diesen historisch-religiösen Remineszenzen zu tun, hat aber seinen Ursprung nicht in einer religiösen, sondern in einer ökologisch fundierten Weltsicht. Die Menschheit, so das große Credo, muss angesichts der herannahenden Klimakatastophe schlanker werden. Und zwar schnell, denn die Zeit drängt und die Umkehr duldet keine Kompromisse. – Aber wie ist das eigentlich? Kann man global vernetzte Ökonomien planvoll eindampfen? Lassen sich Gesellschaften, die es gewohnt sind, im Überfluß zu leben, gesundschrumpfen?

Auf den ersten Blick muten solche Fragen paradox an. Wie soll das gehen, ohne Zwang? Wie soll das gehen in einer Weltgegend, wo ein Großteil der Menschen übergewichtig ist und wo der Massenkonsum auch für breitere Schichten der Bevölkerung Standard geworden ist? – Alles eine Frage der richtigen Einstellung antworten die Wachstumskritiker. Wenn den Menschen auf breiter Basis erst einmal klar wird, dass es buchstäblich um alles geht und die Existenz der gesamten Menschheit auf dem Spiel steht, werden sie schon zur Besinnung kommen und von ganz alleine den Gürtel enger schnallen.

Minuswachstum

Wenn´s nach den Vertretern der sog. „Postwachstumsökonomie“ geht, müssen wir nur endlich anfangen, uns von der Geißel des Überflüssigen zu befreien. Braucht eine vierköpfige Familien, drei Autos? Braucht der Mensch jeden Tag Fleisch und Wurst auf dem Tisch? Müssen wir im Winter alle Zimmer heizen, obwohl wir tagsüber nur Wohnzimmer und Küche nutzen? Müssen wir wirklich jedes Jahr nach Malle fliegen? Kritische Fragen an eine wohlstandsverwöhnte Menschheitsfraktion, deren ökologisch-energetischer Fußabdruck mittlerweile riesenhafte Dimensionen angenommen hat.

Nicht nur ein bißchen abspecken

Wenn´s das nur wäre, gäbe es eigentlich kein großes Problem. Jeder konsumiert ein bißchen weniger. Jeder schränkt sich soweit als möglich ein und lebt ein Stück bewußter. Nicht so sorglos wie früher. Achtsam und ein bißchen rücksichtsvoller, was den individuellen Ressourcenverbrauch anbetrifft. Doch wer genauer zuhört und sich einmal in Ruhe vergegenwärtigt, was wir allein in den nächsten 10 Jahren so alles vor haben, dann wird schnell klar: Ein paar Fettpölsterchen hier, ein paar Pfunde dort. Das wird nicht reichen. Der Eingriff setzt deutlich tiefer an und ein glücklich-österliches Ende der Fastenzeit kann uns momentan niemand versprechen.

Befreiung vom Überfluss

Stilllegung von 75 % aller Flughäfen. Sperrung von 5o % aller Autobahnen für den Individualverkehr. Halbierung des Bruttoinlandsprodukts durch eine generelle Reduzierung der Arbeitszeit auf maximal 20 Wochenstunden! – Hoppla, möchte man meinen! Wer fordert denn sowas? – Nico Paech, heißt der Mann! Lehrt als Professor für „Plurale Ökonomik“ an der Gesamtuniversität Siegen und gehört seit der Veröffentlichung seiner provokanten Streitschrift „Befreiung vom Überfluss“ im Jahre 2012 zu den namhaftesten Vertretern der Postwachstumsökonomie in Deutschland.

Wer sich etwas näher mit Paechs Veröffentlichungen oder mit seinen Redetexten auseinandersetzt, reibt sich verwundert die Augen. Da ist von „Subsistenzwirtschaft“ die Rede. Rückkehr zur Selbstversorgung. Urban Gardening! Obst- und Gemüseanbau im Vorgarten. Halbierung der industriellen Wertschöpfung und Etablierung einer „Kreislaufwirtschaft“ in der Bedarfsgüter aller Art über „Tauschringe“ einer Mehrfachverwendung zugeführt werden.

Im ersten Moment stutzt der werte Leser und denkt sich seinen Teil. Aber dann sieht er die Rezeptionslisten. Wo der Mann schon überall aufgetreten ist und welch große Resonanz seinen Thesen selbst in seriösen Qualitätsmedien mittlerweile finden. Ok! Es sind vor allem die Feuilletonisten und weniger die Wirtschaftsredaktionen, die ihn rezipieren, aber den vielfach fast euphorischen Kommentierungen nach zu urteilen, rollt hier was heran, was man durchaus ernst nehmen muss.

Probleme beim Eindampfen

Aber zurück zu den Ausgangsfragen: Kann man komplexe Ökonomien nach dem Paechschen Muster einfach eindampfen? Vertragen die komplizierten Wirkmechanismen unserer arbeitsteiligen Volkswirtschaften derartige Schrumpfkuren? Im Folgenden drei Aspekte, die skeptisch stimmen, was die praktische Umsetzbarkeit solcher Transformationen anbetrifft.

1.) Volkswirtschaften wachsen von innen nach außen und wer in diätischer Absicht mit den lebenswichtigen Organen beginnt, riskiert den Kollaps des gesamten Organismus. Die aktuell, nicht nur von radikalen Protagonisten wie Nico Paech, propagierte „Verzichtskultur“ setzt in den Maschinenräumen unserer Ökonomien an. Der gleichzeitige Ausstieg aus der Kernenergie und der Kohleverstromung steht für eine Radikal-Diät beispiellosen Ausmaßes. Die alten Herzkammern der („fossilistischen“) Ökomonie sollen in Rekordzeit von wenigen Jahren durch neue ersetzt werden. Ob das Stilllegen des Bewährten und das gleichzeitige Transplantieren des noch Unerprobten jedoch gelingt, ist vor allem angesichts des enormen Mehrbedarfs an Strom nach der Transformation (E-Mobilität, Umstellung industrieller Produktionsverfahren in der Chemie- und Grundstoffindustrie etc.) mehr als fraglich. Wohlgemerkt, bei diesem „Abspecken“ gehts nicht um die Fettpolster im Hüft- und Bauchbereich, sondern um die inneren Organe, die den Organismus am Laufen halten.

2.) Das gleichmäßige Eindampfen funktioniert letztlich nur im Labor. Ökonomien unter externem Stress neigen zu ungleichmäßigen Kontraktionen und sind staatlicherseits kaum steuerbar. Es ist eine vielfach widerlegte Illusion zu glauben, man könne einfach pauschal Arbeitszeit reduzieren und die als fixe Rechengrößen angenommenen Arbeitsvolumina schlicht auf mehr Köpfe verteilen. Genauso problematisch ist die Vorstellung, Arbeitszeit und Produktion ließen sich in einem schlichten Rechenexempel planvoll absenken und auf niedrigerem Niveau neu justieren. Wie in unseren Konsumwelten sind auch in unseren Arbeitswelten Millionen von Wirtschaftssubjekten mit ganz unterschiedlichen Präferenzen bzw. Ambitionen unterwegs, die sich weder in Expansions- noch in Kontraktionsphasen gezielt steuern lassen. Marktwirtschaften sind deshalb so erfolgreich, weil sie Anreizsysteme schaffen, in denen sich Tausendfüßler-Wettbewerb mit Innovationsdynamik auf virtuose Weise verkoppelt. Zentral gelenkte Planwirtschaften scheitern an systemimmanenten Steuerungsillusionen.

3.) Konsequentes Fasten setzt die individuelle Bereitschaft zum Verzicht voraus und erreicht in der Regel nur dort eine nennenswerte Nachhaltigkeit, wo Menschen aus Eigenmotivation heraus zum bewußten Verzicht bereit sind. Wie das funktioniert, lässt sich an den großen spirituellen Systemen der historischen Hochkulturen in Ost und West beobachten. Hier war es stets nur eine zahlenmäßig überschaubare Elite von Übenden, die höhere Niveaus des Verzichts und der freiwilligen Selbstbeschränkung erreichten. Die große Mehrheit brachte in der Regel weder die anhaltende Disziplin noch die Willensstärke auf, um auf Naheliegendes auch dann zu verzichten, wo es unmittelbar greifbar scheint. Die angedeutete flächendeckende Transformation wäre somit wohl nur über kollektive Zwangsmaßnahmen kombiniert mit rigiden Verbotsregimen möglich.

Radikales Schrumpfen ist keine Lösung

Wer also von Ökonomien träumt, die sich planvoll und sozialverträglich eindampfen lassen, sollte tunlichst die beschriebenen Hindernisse im Auge behalten. Die Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Karfreitag mahnt uns zur Mäßigung und zum Respekt vor unseren natürlichen Lebensgrundlagen. Wachstumsfreie „Schrumpfökonomien“ ohne ein sozialpolitisch disponierbares Mehrprodukt sind strukturell rückwärtsgewandt und lösen im Endresultat kein einziges der großen Menschheitsprobleme.