Politics by Bazooka

Während die galoppierende Pandemie immer neuen Höchstständen entgegenstrebt und sich im breiten Strom der Medien noch fast alle Augen auf das mikrobische Corona-Virus selbst richten, zeichnet sich im Schlachtenlärm eine zweite gewaltige Front am Horizont der Ökonomie und des Sozialen ab. Vom Sperrfeuer der Medien regelrecht paralysiert, schauen wir zwar immer noch mehrmals täglich mit starrem Blick auf die neueste Corona-Statistik, ahnen aber zumindest vage, dass schon bald Konkurs- und Arbeitslosenstatistiken ihre Stelle einnehmen werden. Die Regierungen in den betroffenen Ländern haben diese bittere Kausalkette längst antizipiert und begonnen ihr Krisenmanagement auszuweiten. Neben dem Virus sollen mit schwerem Geschütz nun auch seine Folgen bekämpft werden. Das geld- und finanzpolitische Arsenal, dass da aufgefahren wird, ist alles andere als neu. Wir kennen es aus vorangegangenen Krisen und hören die mitgelieferten Kampfbegriffe wie ein Echo aus vergangenen Tagen. Doch was können die mächtigen „Bazookas“*, die überall in den Regierungszentralen durchgeladen werden, wirklich ausrichten? Läßt sich die aktuelle Krise wirklich mit dem ausgeleierten Arsenal der letzten großen Finanzkrisen bekämpfen? Oder haben wir unsere Munition nicht längst leichtfertig verschossen?

Aus dem Bereich des Militärischen, aus dessen Wortschatz momentan tief geschöpft wird, stammt die zwingende Erkenntnis, dass nur die Angriffsoperation erfolgreich sein kann, die klare Schwerpunkte bildet. Überdurchschnittlich erfolgversprechend sind Offensiven, die sich auf die schwächste Stelle der gegnerischen Defensive konzentrieren und den schnellen Durchbruch suchen. Die „Geld-Haubitzen“, die aktuell in den Zentralbanken und den Finanzministerien aufmunitioniert werden, scheinen wie aus dem Generalstabs-Lehrbuch kopiert. „Nicht kleckern, sondern klotzen“, so Olaf Scholz mit seinem Guderian-Zitat** anläßlich seiner „What ever it takes“- Pressekonferenz am Freitag, dem 13. März 2020. Und als wär das noch nicht genug, läßt er Weiland Mario Draghi wieder auferstehen und verspricht allen, die es hören wollen, „unbegrenzten Kredit“.

Koste es was es wolle!

Also alles im Lot? Alles wie immer? Die Notenbänker lassen die Geldpressen rotieren, die Finanz- und Wirtschaftsminister blasen die Rettungsschirme auf und die Redaktionen in TV und Print puschen die Hilfspakete im Tag- und Nachtstakkato. Nur wer genauer hinschaut und die gigantische Ankündigungs-Rhetorik auf ihre Substanz herunterbricht, erkennt rasch, wie unzulänglich der Geld- und Finanzmittel-Tsunami auf die zu lösenden Herausforderungen abgestimmt ist.

Die Wirtschaftskrise, die sich hier anbahnt, hat nämlich nur entfernt Ähnlichkeit mit den großen Finanzkrisen der letzten Jahre.  Sowohl beim großen Börsencrash im Oktober 1987, beim Dotcom-Crash im März 2000 und in der großen Subprime-Krise des Jahres 2008  ging es um das Platzen von „Vermögens-Blasen“, um klassische Überkonsumptionskrisen. Die Wirtschaft war in wichtigen Einzelsegmenten heiß gelaufen bzw. die „Bullen“ an den Börsen bzw. Immobilienmärkten hatten sich totgelaufen. Die Kapitalmärkte brachen ein, die Spekulationsgewinne schmolzen in Rekordzeit dahin und die Wertpapierportfolios wurden pulverisiert.

Spekulations-Krisen

Keine dieser Krisen schlug auf die ganze Breite der Realwirtschaft durch. Natürlich gab es die eine oder andere Insolvenz und selbstverständlich auch einzelne Anleger, die mächtig zur Ader gelassen wurden. Aber die breite Masse der Industrie- und Dientleistungsunternehmen blieb von den Schockwellen der geplatzten Spekulationsblasen fast völlig unberührt. Das lag auch und vor allem daran, weil die Notenbanken die schwankenden Kapitalmärkte von Krise zu Krise mit immer mehr Liquidität versorgten. Die Zinsen, die ehemals das knappe Gut Kapital bepreisten, wurden im Lauf der Jahre fast vollständig abgeschafft. Kreditengagements wurden zu Spottpreisen verramscht, Zinsrisiken in den Bankbilanzen durch gigantische Anleihekäufe neutralisiert, Zombie-Unternehmen in komfortable Easy-Money-Kokons eingesponnen und am Schluß sogar der Negativzins als Belohnung für öffentliche und private Großschuldner etabliert.

Game on

Das wirkte und erzeugte Scheinkonjunkturen von bisher ungekannten Ausmaßen. Niemals ernsthaft gegengerechnet, wurden die Nebenfolgen dieser gierdynamischen Systeme. Warum auch? Die Erfolgsrezeptur schien todsicher. Warum eine Spielanordnung ändern, wenn am Ende immer der Jackpot winkt? Die Einsätze mussten zwar von Spiel zu Spiel verdoppelt, verdreifacht, ja vervielfacht werden, aber wer demontiert schon ein System, dass in der Lage scheint, sogar ökonomische Gesetze zu überlisten.

Es kann deshalb niemanden verwundern, dass die gleichen, erfolgsverwöhnten Strategen nun auch in der aktuellen Krise glauben, das Problem auf die alte Art lösen zu können. Klar, die eingesetzten Summen müssen wieder einmal deutlich erhöht werden. Was im Jahr 2000 noch mit ein paar Milliarden bekämpft wurde und was 2008 noch mit der Mobilisierung von zwei- bzw. dreistelligen Milliardensummen angegangen wurde, überschreitet nun – zumindest in den USA, in Europa und in Ostasien – bereits die Billionen-Grenze***. Die Verantwortlichen wissen, wer das „Koste es was es wolle!“ mehrfach hintereinander wiederholt, muss den Einsatz regelmäßig beträchtlich erhöhen, um noch ernst genommen zu werden.

Alte Rezepte

Doch was in den goldenen Jahren des Finanzkapitalismus so oft funktionierte, dürfte diesmal – nach allem was sich aktuell an der Konjunktur- und Wachstumsfront an Rezessionssignalen abzeichnet – weitgehend wirkungslos bleiben.**** Vor allem aus zwei Gründen: Erstens sind die ökonomischen Verwerfungen, die die Corona-Krise auslöst, strukturelle Verwerfungen und durch kurzfristige Liquiditätshilfen – egal in welcher Höhe – nicht korrigierbar. Die Geld- bzw. Kreditschwemme in Form von Soforthilfen und staatlich garantierten Bürgschaften schafft zwar temporäre Linderung für die Unternehmen und ihre Beschäftigten, ersetzt aber keinesfalls die notwendigen Strukturanpassungen. Zweitens sind es diesmal nicht die überhitzten Kapitalmärkte, die die Krise ausgelöst haben, sondern die shutdown-bedingten Betriebsstilllegungen und Produktionsausfälle. Der weltumspannende Kollaps wichtiger Liefer- und Wertschöpfungsketten schlägt voll auf die Realwirtschaft durch und trifft vor allem die Industriezweige überdurchschnittlich hart, die liefer- und absatzseitig besonders stark „globalisiert“ sind und schon vor der Krise durch politisch getriebene Strukturbrüche erschüttert wurden. Das heißt, selbst eine hyper-keynesianische Nachfragestimulierung gepaart mit unbegrenztem Schub aus der Notenpresse könnte den fest gefahrenen Karren nicht wieder flott machen. Die Fabriken und Dienstleistungsunternehmen sind regelrecht eingefroren und alles was da von außen an Geld hineinfließt, kann maximal als Brennmaterial für die Notstromaggregate genutzt werden.  Anders gesagt: Dort wo – aufgrund seuchenpolizeilicher Restriktionen – nicht produziert bzw. kein Angebot generiert wird, nutzen selbst gigantische staatliche Hilfsprogramme nur zur vorübergehenden Schmerzlinderung.

Gibts noch Hoffnung?

Auweia! Das hört sich nicht gut an! Gibts da eigentlich noch Hoffnung? – Im Kern schon, aber defintiv nicht mit dem alten Arsenal an Waffen und Munition. Und definitiv nicht mit großkalibrigen Bazookas, die wie Schrotgewehre eingesetzt werden und massenhaft hart erarbeitete Steuermittel und riesige Kreditsummen in eine große Nebelwand hineinfeuern. Schon jetzt liegt – nach Schätzungen des Institut of International Finance – die weltweite private und öffentliche Verschuldung bei rekordverdächtigen 250 Billionen Dollar. Das entspricht mehr als dem Dreifachen (320 %) des weltweiten BIP.

Die Munition ist also im Grunde seit langem verschossen. Deshalb wäre es so wichtig, das Hauptaugenmerk wieder dahin zu richten, wo die eigentliche Wertschöpfung stattfindet. Also nicht auf die Brokerhäuser und die Finanzjongleure, sondern auf die unternehmerische Wirtschaft, die solides Wirtschaftswachstum und ein ausreichendes Arbeitsplatzangebot erst möglich macht. Der geeignete wirtschafts- und strukturpolitische Werkzeugkasten steht seit vielen Jahren angestaubt in der Ecke. Statt die gewerbliche Wirtschaft strukturell zu ertüchtigen und krisenfest zu machen, wurde jahrzehntelang mit Zauberstäben aus dem Zauberkasten des „billigen Geldes“ hantiert.

Das heißt, statt auf eine wirtschaftsnahe Ordnungs- und Wettbewerbspolitik, niedrige Energiepreise und eine leistungsorientierte, gut kalkulierbare Steuerpolitik mit Steuererleichterungen für den Mittelstand zu setzen, wurde die (Geld-)Drogen-Dosis für hochverschuldete Staaten, klamme Geschäftsbanken und eigentlich nicht mehr wettbewerbsfähige Unternehmen laufend erhöht. Mit massiven Folgen für die innere Stabilität und Krisenfestigkeit unserer Volkswirtschaften.

Nutzen wir die Krise zur Umkehr! Werden wir schlau aus dem, was wir in den nächsten Monaten erleben werden. Der Ast auf dem wir sitzen, ist brüchig geworden. Wir haben kräftig an ihm gesägt, als es uns noch gut ging. Hören wir auf damit und geben wir uns selbst eine neue Chance.

* Die „Bazooka“ ist ein im 2. Weltkrieg für die US-Army entwickelter portabler Raketenwerfer.  Bundesfinanzminister Scholz nutzte den Begriff um die „Durchschlagskraft“ seiner Anti-Corona-Maßnahmen zu unterstreichen. Daraufhin wurde er zu „dem“ Synonym für die Coronafolgenbekämpfung und fortan hundertfach in den Medien aufgegriffen, stets um den nackten Zahlen explosiven Nachdruck zu verleihen. Wer mehr wissen will, sollte unter „Bazooka Corona“ googeln.

**Die Wendung „Nicht kleckern, sondern klotzen!“ war Teil der Kampfrhetorik des Wehrmachtsgenerals Heinz Guderian, der als Vater der deutschen Panzerwaffe im 2. Weltkrieg gilt. Die von ihm geprägte und in den allgemeinen Sprachschatz übergegangene Wendung umschreibt das neue taktische Konzept der deutsche Panzerverbände während des Krieges, die nicht mehr übers Gefechtsfeld verteilt zur Deckung der Infantrie eingesetzt wurden, sondern in grossen, massierten Einheiten operierten. Ich geh mal davon aus, dass Olaf Scholz die Herkunft dieser Wendung nicht wirklich bewusst war, als er sie jüngst mehrfach ins Feld führte.

*** Donald Trump hat am 27. März 2020 ein 2,2 Billionen Dollar schweres Corona-Hilfspaket auf den Weg gebracht. Darunter erstmals ein großer Batzen „Helikoptergeld“. So soll jeder erwachsene US-Bürger 1000 $ und jedes Kind 500 $ ohne Gegenleistung erhalten (Gesamtpaket: rd. 500 Mrd. $). Laut EU-Kommission summieren sich die Corona-Hilfszusagen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten mittlerweile auf gigantische 2,7 Billionen Euro. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/corona-von-der-leyen-schlaegt-marshall-plan-fuer-europa-vor-16708770.html

**** Eine echte Ausnahme bildet ohne Zweifel das staatlich subventionierte „Kurzarbeitergeld“, das Arbeitsplätze buchstäblich „über die Krise rettet“.