Mit dem Mangel wirtschaften

Angefangen hat alles mit fehlenden Handybauteilen, fehlenden Baumaterialien und akuten Lücken in der Automobillogistik. Lieferkettenprobleme hieß es landauf und landab. Corona hat die globalen Logistikketten durcheinander gewirbelt. Die Container stauen sich vor den Zero-Covid-geplagten Hafenterminals an Chinas Küsten. Und wenn das alles nicht schon genug wäre: Nun geht uns auch noch das Erdgas aus. Und nun warnt der Bundeswirtschaftsminister sogar vielsagend vor „politischen Albtraumszenarien“.

Wie ernst die Lage ist, zeigt sich an der Tatsache, dass aktuell allerorten Notfallpläne entworfen werden. Kommunen bereiten provisorische Wärmehallen für den Winter vor. Wohnungsbaukonzerne schalten die Heizungstemperaturen runter oder drehen den Mietern das Warmwasser ab.

Bundeslastverteiler

Irgendwie wirkt das alles ziemlich surreal. Eine der am höchsten entwickelten Volkswirtschaften der Welt schaltet um auf Mangelwirtschaft. Die Bundesnetzagentur soll sich als „Bundeslastverteilerin“ betätigen. Und der schon bald allgewaltige Chef der Behörde, Klaus Müller von den Grünen, mutiert Schritt für Schritt zum Lothar Wieler 2.0.

Ist das noch real oder nur ein schlechter Traum? Noch liegt der winterliche Horizont im Nebel. Noch spielt die Bordkapelle. Noch feiert das Bundeskabinett im Sylter Glamour die Traumhochzeit des Finanzministers bei Lachshäppchen und Schampus.

Das neue Unten

Wer wissen will, was da gerade passiert, sollte sich nicht allzu lange am Sylter Buffet aufhalten, sondern ein wenig zurückleuchten in die wechselvolle Geschichte der westlichen Menschheit. Angefangen hat alles mit der Kohle. Heute, die eigentliche Zielscheibe aller Klimakrieger. Damals, der erste große Treiber beim Marsch in die Verwöhnungsräume der Moderne.1

Zunächst noch stockend und verbunden mit großen sozialen Nöten vollzieht die westliche Moderne ab Ende des 18. Jahrhunderts den ersten großen Schritt auf dem Weg ins Maschinenzeitalter. Getragen von einer „Ausbeutungsverschiebung auf ein neues Unten“ (Statt schweißtreibender bäuerlicher Handarbeit, forcierte Erschließung unterirdischer Wälder!) gelingt auf spektakuläre Weise eine neue faszinierende Symbiose, bestehend aus fossilen Ressourcen, maschinellen Kraftsystemen (Steam Engine, Diesel- und Benzinmotoren) und komplexen Ausführungsapparaten.

Immer geringere Erschließungswiderstände

Die energetischen Spielregeln, die Jahrhunderte lang die herkömmlichen Kulturen geprägt haben, wandeln sich innerhalb weniger Jahrzehnte auf radikale Weise. Die Kopplung von Nahrung und Organismus (menschliche Handarbeit und Zugtiere) wird ersetzt durch die Verbindung aus Treibstoff und Kraftmaschine.

Eine kataraktartige Beschleunigung erfährt dieser Prozess durch die Erschließung von Öl- und Erdgasvorkommen. Die Erschließungswiderstände verringern sich dramatisch und durch das wundersame „Entgegenkommen der Natur“, beginnend mit dem Titusville-Gusher des Jahres 1859, beschleunigen sich die Industrialisierungsprozesse in hohem Tempo.2

Fossil generierter Überfluß

Wer heute in den Komfortzonen des entwickelten Westens lebt, sollte sich diese Vorgeschichte unserer Überflussgesellschaft immer wieder bewusst machen. Die Wohlstandsmaschine auf der wir sitzen, rotiert auch Anfang des 21. Jahrhunderts nur so lange, so lange die fossilen Treibstoffe im 24/7-Rhythmus ohne Unterlass für energetischen Nachschub sorgen. Wer das Gegenteil behauptet, berichtet aus der Zukunft oder aus dem französischen Hexagon, das weiterhin eisern den Titanen namens Kernenergie anbetet.

Aber halt! Ist das nicht zu viel Metaebene? Zu viel geschichtsphilosophischer Exkurs? Ist die Erklärung für unsere aktuelle Misere nicht viel einfacher?: Putin dreht uns den Gashahn ab! Blockiert die Gaslieferungen durch Nord-Stream 1 und nimmt uns in den energiepolitischen Schwitzkasten.

Fundamentaler Bruch

Wenn’s so einfach wäre, bräuchte es diese Kolumne nicht. Denn das woran der Kremlherrscher bastelt, daran basteln andere im eigenen Land – ganz ohne Sanktionen und Boykotte – schon seit vielen Jahren. Sie nennen es „Energiewende“, versprechen uns blühende Landschaften und schaffen es auf geschickte Weise die fundamentale Bruchzone zu verschleiern.

Denn das, was spätestens seit 2011 auf Hochtouren läuft und gefüttert aus den Budgets vor allem der Stromkunden immer größere Dimensionen annimmt, ist keine Wende, sondern ein historischer Bruch mit gravierenden Auswirkungen auf unsere gewachsenen Komfortzonen, auf unsere Verwöhnungswelten aus Energieüberschuss, Zentralheizung, individueller Mobilität und sich vor lauter Masse und Vielfalt biegenden Supermarktregalen.

Weltklimaretter

Noch wehren wir uns gegen diese Gedanken. Halten Begriffe wie „Great Reset“ oder „Große Transformation“ für fixe Ideen pensionierter Manager oder schwedischer Klimaprophet*Innen. Machen weiterhin das Kreuz auf Wahllisten ohne Parteiprogramme vorher ernsthaft zu lesen und hängen an den Lippen von eloquenten Welterklärern aus dem Land der Windmühlen.

Darüber hinaus wähnen wir uns weiter auf der grünen Insel, lassen uns weiter treiben vom weltklimaretterischen Pathos, schrauben uns weiter eifrig Solarzellen aufs Dach und kreiseln weiter voll guten Gewissens mit teuren E-Autos um die Blöcke.

Vorboten des Mangels

Was wir nicht sehen und wohl auch nicht sehen wollen, sind die immer massiver werdenden Vorboten für den Einstieg in eine neue Form der Mangelwirtschaft.

Konzentrieren wir uns an dieser Stelle auf drei dieser Vorboten und verweisen ansonsten auf den Winter 2022/23, in dem – das steht jetzt schon fest – die sog. Energiewende in einen von Putin getriebenen Schweinsgalopp übergehen wird. Spätestens dann werden wir wissen, was es heißt als fossilenergetisch verwöhnte Population mit echter Knappheit umgehen zu müssen.

Bedarfe statt Bedürfnisse

Zum ersten und vielleicht wichtigsten Vorboten der Mangelwirtschaft gelangt man, wenn man die Zeitung aufschlägt oder den Fernseher einschaltet und sich beispielsweise Tagesschau-Berichte über die europäische Wirtschafts- und Energiepolitik anschaut. Da ist kaum noch von individuellen Bedürfnissen die Rede, sondern fast ausschließlich von Bedarfen, von politisch vorgegebenen Quoten.

Grenzwerte werden definiert, Obergrenzen politisch festgezurrt und wenn das alles nichts hilft, Verbote formuliert: Ende des Verbrenners ab 2035. Stickstoffreduktion um bis zu 50 %. Reduktion des Milchviehbestandes um 30 %.3  Kein neues Hausdach ohne Photovoltaik. Und über allem: Emissionsquoten! Immer wieder Emissionsquoten – wie im Tonnensozialismus der Obersten Planbehörden: 55 % bis 2030 und gerade als wäre es ein himmlisches Gebot: Klimaneutralität bis 2050.

Echten Mangel aushalten?

Erläuterungen, wie das alles auf das tägliche Leben des Einzelnen wirkt, sind kaum zu hören. Auch die Frage, welche Einschränkungen an individueller Mobilität mit all der CO2-Jagd verbunden sein dürfte, wird selten berührt. Dass die westliche Zivilisation sich Lichtjahre vom jahrhundertlang erlernten Mangelbewusstsein des agrarischen Zeitalters entfernt hat, wird geflissentlich verschwiegen.

Und auch die Frage, ob wir angesichts von mindestens anderthalb Jahrhunderten institutionalisiertem Energieüberschuss,  mental überhaupt noch in der Lage sind,  grundlegende Mangellagen zu bewältigen, bleibt weitgehend unerörtert.

Raus aus der Grundlast

Der zweite Vorbote macht sich an der Kraftwerksfront bemerkbar. Obwohl die regierenden Parteien in Deutschland wohl längst wissen was auf uns zukommt, werfen Sie in stürmischer See auch noch die letzten Rettungsanker über Bord.

Die Entscheidung, trotz der sich abzeichnenden Mangelszenarien auch an Stromfront, die drei noch laufenden Atomkraftwerke zum Jahresende abzuschalten, lässt nur einen Schluss zu: Nämlich den, dass Weltanschauung hier vor Volkswohl rangiert. Die Hoffnung, dass uns die „Atommacht“ Frankreich am Ende schon irgendwie vor dem Black-Out bewahren wird, könnte sich als trügerisch erweisen.

Staatliche Omnipotenz?

Der dritte und wohl ernüchternste Vorbote geht einher mit der Tatsache, dass uns bei der Lösung der gewaltigen Probleme, die vor uns liegen, fast ausnahmslos der Staat als universeller Retter in den Sinn kommt.

Wie schon im Zusammenhang mit vorangegangenen Problemlagen fallen uns kurioserweise immer wieder nur staatliche Lenkung und staatliche Steuerung als Problemlösungsvarianten ein. Wir setzen auf den Staat, der uns auch ohne Putin die höchsten Strompreise der Welt „verordnet“ hat.

Kürzer duschen!

Wir setzen auf den Staat, der ein Grundlastkraftwerk nach dem anderen abschaltet. Wir vertrauen auf seine Weisheit, obwohl er uns zur Lösung der Krise momentan fast nur Allgemeinplätze oder prekäre Notfallmaßnahmen anbietet: Kürzer duschen. Mit kaltem Wasser waschen. Türen zu. Weniger lüften. Dicke Jacke an. Und wenn der Unternehmer fragt, wie es weiter geht, empfiehlt der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium was? Ja! Sie hören richtig: Dieselgetriebene Notstromaggregate!

Ohne Speicher, bleibts wie gehabt

Eine Unzahl von Indizien sprechen dafür, dass es in den nächsten Jahren nicht gelingen wird im Bereich der erneuerbaren Energiequellen maßgebliche, großtechnisch anwendbare Speicherlösungen zu finden. Das heißt, die in den Medien immer wieder stolz verkündeten „Rekorde“ beim Zuwachs der Stromerzeugung aus Erneuerbaren sind und bleiben fragile Luftschlösser.

Der jüngst genannte Anteil der Erneuerbaren von 49 % an der inländischen Stromerzeugung sackt bei jeder Dunkelflaute auf annähernd 0 % herab. Was im Umkehrschluss bedeutet: Strom aus Sonne und Wind leistet nur dann einen maßgeblichen Beitrag zur Energiesicherheit im Lande, wenn ausreichend konventionelle, sprich fossile (oder nukleargetriebene) Back-up-Kraftwerke zur Verfügung stehen. Ansonsten gehen – ob wir es wahr haben wollen oder nicht – dutzende Male im Jahr flächendeckend die Lichter aus.

Der Wirklichkeit ins Auge sehen

Wir werden auf absehbare Zeit auf Gedeih und Verderb auf die großen Entlastungsagenten aus den unterirdischen Lagerstätten unserer Ressourcenerde angewiesen sein. Wenn schon nicht auf die Kohle, dann zumindest auf Öl und Gas. Gegenteilige Behauptungen entspringen – so ernüchternd die Erkenntnis auch sein mag – energiepolitischen Wunschvorstellungen.

Wer trotzdem – wider besseres Wissen – in diese Kerbe schlägt und aus weltanschaulichen Gründen die riesigen Energielücken ausblendet, bereitet bewusst oder unbewußt der Mangelwirtschaft den Weg. Was das für unser tägliches Leben bedeutet und was das mit uns macht, hätten wir spätestens 2030 bzw. 2035 in jedem Fall erfahren. Nun werden wir es wohl deutlich eher wissen.

 

1 Hierzu und im folgenden vgl. vor allem die Passagen in Peter Sloterdijks genialem Werk „Im Weltinnenraum des Kapitals“, 5 2017 zum Thema „Umwertung aller Werte: Das Prinzip Überfluß“, ab S. 349.

2 „Die Urszene des Zugehens der natürlichen Ressource auf die menschliche Nachfrage spielte sich im Jahr 1859 im US-amerikanischen Pennsylvania ab, als bei der Bohrung in der Nähe von Titusville eine erste Ölquelle und mit ihr das erste Ölfeld der Neuen Welt erschlossen wurde. … Seither gehört das Bild der Erdöl-Eruptivquelle (Springer bzw. „gusher“) zu den Archetypen des amerikanischen Traums.“ (Sloterdijk, 2017, S. 354).

3 Was an sozialem Sprengstoff in der europäischen „Quotenpolitik“ steckt, lässt sich aktuell in den Niederlanden beobachten. Hier wehren sich Bauern – nach dem Gilets Jaunes-Prinzip – hartnäckig gegen das von der Regierung geplante Stickstoffgesetz. Die aktuellen Unruhen in Sri Lanka, wo aufgebrachte Massen den Präsidentenpalast gestürmt haben oder im Libanon, wo die Energieversorgung nahe am Totalzusammenbruch steht, sind zwar Beispiele für die struktuelle Verknappung von Ressourcen aus der sog. „Dritten Welt“, sollten aber auch Verantwortlichen in der nördlichen Hemisphäre zu Denken geben.