Die Geldmacher

Elon Musk, Jeff Bezos, Warren Buffett, Bill Gates – Wer kennt Sie nicht? Die Superreichen, die Profiteure der großen Börsen-Bonanza, die mit Ihren astronomischen Milliardenvermögen die Hit-Listen von Forbes und The World`s Billionaires anführen. Woher kommt dieser Reichtum? Ist das noch normal? Gabs das früher auch schon? Ja, klar! John D. Rockefeller, Andrew Carnegie und Cornelius Vanderbilt hatten in ihrer Zeit mindestens den gleichen Krösus-Status wie ihre aktuellen Nachfahren. Auch sie haben bisher nie dagewesene Reichtumsrekorde gebrochen und jeweils Geldvermögen angehäuft, das Normalsterbliche in ihrem Leben niemals ausgeben können. – Also doch nichts Neues unter der Sonne? Neues Geld folgt halt auf altes Geld und wie im ausgehenden 19. Jahrhundert scheinen auch in diesen Tagen die hell strahlenden Leuchttürme der Milliardäre jenseits des Atlantiks im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu stehen.

Wer genauer hinschaut und das schillernde Boulevard mal beiseite läßt, entdeckt doch einige gravierende Unterschiede zwischen den beiden, rd. 150 Jahre auseinanderliegenden Welten. Die erste Differenz resultiert aus der Unterschiedlichkeit der Vermögensquellen. Waren es damals vor allem Rohstoffe, Stahl und Eisenbahnen, aus denen Mega-Vermögen generiert wurden, sind es heute vor allem die IT, die Pharma-Branche und der Finanzsektor. Während damals die größten Skaleneffekte und die höchsten Gewinnspannen vor allem mit Öl, Stahl und Maschinen erzielt werden konnten, geht es heute in den „Produktionsstätten“ der Gegenwart  deutlich smarter zu. Die modernen Geldkonverter funktionieren ohne Preßlufthammer, ohne Hochofen und ohne grau dampfende Schlote. Der moderne Dagobert sitzt im Wolkenkratzer-Büro, kommt ohne ölige Hände und ohne die aufdringlichen Rauchsäulen über den Städten aus.

Wer profitiert und wer nicht?

Der zweite Unterschied resultiert aus dem verteilungspolitischen Kontext bzw. aus den Verteilungseffekten. Die Welt der Rockefellers und der Vanderbilts war die Welt der Hochindustrialisierung, die Welt des klassischen Industriekapitalismus. Der Massenwohlstand steckte noch in den Kinderschuhen. Die auf den Markt drängenden Errungenschaften der Erfindergenerationen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, seien es die Kühlschränke, Haushaltsgeräte, elektrischen Leuchtmittel, die neuen Fortbewegungsmittel (Autos, Flugzeuge) oder die neuartigen Kommunikationsmittel (Telefon, Radio, Fernsehen) konnten sich in der Regel nur die Wenigsten leisten. Der moderne Konsumkapitalismus und der für soziale Sicherheit bürgende „Wohlfahrtsstaat“ waren größtenteils bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts noch ferne Zukunftsmusik.

Massenkaufkraft

Die eigentliche Wende hin zum Massenkonsumkapitalismus vollzog sich im entwickelten Westen erst – mit Ausnahme des Frontrunners USA – in den „Trente Glorieuses“ der zweiten Nachkriegszeit, wo das bisher fast ausschließlich bei den Oberschichten akkumulierte Kapital breiter gestreut wurde und sich neben einem starken gewerblichen Mittelstand auch so etwas entwickelte wie eine Mittelschicht(en)gesellschaft mit (kleinen) Privatvermögen und Einkommensüberschüssen zur Befriedigung von „Luxuskonsum“ (Wohnkomfort, Zentralheizung, Reisen etc.).

So revolutionär diese Wohlstandsgewinne für breitere Schichten auch waren und so signifikant sich die „Wirtschaftswunderjahre“ auch auf die gesellschaftliche Struktur der betroffenenen Länder in Nordamerika, Europa und später auch in Ostasien auswirkten, so unzureichend ist ihr Erklärungswert für eine Zustandsbeschreibung des neuen Reichtums der Gegenwart.

Aktive Minderheit trifft auf sedierte Mehrheit

Das „Big Money“ des beginnenden 21. Jahrhunderts knüpft genau nicht an diese wohlstands(um)verteilenden Diffusionsprozesse an, sondern geht in wichtigen Bereichen – man kann es drehen und wenden wie man will – eher zu Lasten der oben beschriebenen Mittelschichtgesellschaften. Warum das so ist und warum es aktuell erst so wenigen auffällt, hat vor allem mit zwei ambivalenten Phänomenen zu tun, die für breitere Bevölkerungsschichten eher sedierend und für die Gruppe der „Fortschrittsgewinnler“ eher dynamisierend wirken.

Die Rede ist vom zinswendegetriebenen Börsenboom und von der Welt der Kreditblasen. Beide Phänomene sind in ihrer spektakulären Ausprägung erst rd. 40 Jahre alt und haben sich im Fahrwasser von Globalisierung und Digitalisierung zu riesigen Umverteilungsmaschinen und Reichtumstreibern vor allem für Finanzjongleure und Börsenprofis entwickelt.*

Gelddrucker sponsern Geldmacher

Wirtschafts- und finanzgeschichtlich beispiellos in diesem Zusammenhang ist die enge Liaison zwischen zwei eng verwobenen Gruppen von „Geldmachern“, den Notenbankern im Bündnis mit ihren jeweiligen Regierungen einerseits und den oben bereits genannten Tycoonen der IT- und Finanzindustrie andererseits. Beide Gruppen wirken in der ökomomischen Wirklichkeit wie kongeniale Partner eines riesigen Finanzexperiments mit der Besonderheit,  dass die (sekundäre) Stufe des „Geldmachens“, die (primäre) (Vor-)Stufe des „Gelddruckens“ voraussetzt.

Auslöser für diesen historisch einmaligen Mechanismus war der Entschluss der drei wichtigsten Notenbanksysteme (FED, EZB, Japanische Notenbank) in einem schrittweisen Prozess ab den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts den Zins, das heißt den zentralen Knappheitsindikator moderner Volkswirtschaften, ins Bodenlose fallen zu lassen. Auf diese Weise entstanden erstmals in dieser Form Ökonomien ohne nennenswerte Kredit- und Sparzinsen, mit fast schon hyperinflationären Blasenbildungen auf den Finanz- und Immobilienmärkten und mit riesenhaften Umverteilungseffekten zugunsten der Schuldner und zulasten der Gläubiger bzw. Sparer.

Moral Hazard

Einfacher gesagt, wer im großen Stil – in der Regel unterstützt von Kreditinstituten, Private Equity-Fonds oder Finanzmittlern aller Art – kreditfinanziert „investiert“, dabei den richtigen Riecher für Marktbewegungen und Börsencharts entwickelt und im Zweifel bereit ist auch die Moral Hazard-Karte auszuspielen, geht fast mit Sicherheit als Gewinner durchs Ziel. Wer andererseits klassische Sparformen nutzt, sein Einkommen aus abhängiger Beschäftigung generiert und aufgrund von fehlendem selbstgenutzten Wohneigentum noch nicht einmal von standortbezogenen Immobilienpreissteigerungen profitiert, fällt im Rennen um den Wohlstandskuchen mit ebenso großer Sicherheit zurück.

Zinsverlierer

Allein in den Jahren 201o bis 2019 haben die Sparer in Deutschland – laut Erhebungen der DZ-Bank – durch die Niedrigzinspolitik der EZB rund 650 Milliarden € an Zinserträgen verloren. Parallel hat sich der DAX, der deutsche Börsenindex der 30 wichtigsten Einzelwerte, von rd. 5.800 Punkten im Jahre 2011 innerhalb von knapp 10 Jahren auf einen Rekordstand von 14.600 Punkten emporgeschoben. Mit besonders markanten Ausschlägen nach oben seit Beginn der Corona-Lockdown-Krise im März 2020. Um die Paradoxie des ganzen Spiels zu erkennen, reicht es, sich klar zu machen, dass ein Börsenindex wie der DAX in der tiefsten Wirtschaftskrise der Nachkriegzeit um sage und schreibe 66 % gestiegen ist. Und das letztlich nur, weil die Powells und die Lagardes in den Notenbanktürmen, die Geldschleusen geöffnet und die Märkte mit billiger Liquidität regelrecht überflutet haben.

Die wichtigsten Begleiterscheinungen sind verkorkste Anreizmechanismen, in deren Sog Verschuldung belohnt und Sparen systematisch bestraft wird: Anreize für private Altersvorsorge? Fast komplette Fehlanzeige! Sanktionsinstrumente zur Vermeidung von Fehlallokationen? Ebenfalls Fehlanzeige! Warnlampen für fortschreitende Zombifizierungsprozesse? Weitgehend ausgeschaltet! Und Schuldenbremsen für Hochschuldenländer? Keine Chance! Nicht durchsetzbar!

Marktverzerrungen

Wohin all das noch führt und welche Folgen das für die momentan pandemiebedingt ohnehin massiv ins Trudeln geratene Weltwirtschaft haben wird, ist schwer zu prognostizieren. Sicher ist in jedem Fall: Um so länger dieser kreditgetriebene Blasenbildungsprozess anhält und um so länger die Marktverwerfungen durch verzerrte Preissignale vertieft werden, um so schwieriger wird es sein, aus der selbst gewählten Sackgasse wieder heraus zu kommen.

Dass einzelne Menschen in wenigen Lebensjahren Vermögenswerte von mehr 180 Milliarden $ anhäufen (Musk, Bezos etc.) und dabei als Einzelpersonen mehr Privatvermögen akkumulieren, als die Hälfte ihrer jeweiligen Mitbürgerschaft, kann auf Dauer nicht gesund sein. Wenn Firmen wie Wirecard (Aschheim bei München) oder jüngst die Greensill-Bank (Bremen) in Konkurs gehen und selbst die Finanzdienstleistungsaufsicht nicht in der Lage ist, den spekulativen Overload dieser kreditbasierten Kartenhäuser zu unterbinden, dann läuft etwas gründlich schief.

Im Schatten des Easy Money

Zum besseren Verständnis der kritischen Lage in der wir uns befinden, hier nur wenige kurze Schlaglichter:

1.) Rund 50 deutsche Kommunen, darunter Großstädte aber auch 40.000 Einwohner-Gemeinden wie Monheim bei Köln, steckten aus lauter Verzweifelung Millionensummen an Steuergeld in fragwürdige Terminanlagen bei der Greensill-Bank in Bremen, vor allem um dem Negativzins der EZB zu entgehen. Die Finanzdienstleistungsaufsicht hielt sich mit Warnungen zurück und am Ende stand der Totalverlust aufgrund von Bankenkonkurs. **

2.) Die Aktie der Fa. Wirecard stieg im kreditgetriebenen Börsenboom im April 2020 auf rd. 145 €. Der „Zahlungsabwickler“ mit riskantem Geschäftsmodell puschte seinen Börsenwert durch dubiose Luftbuchungen und stürzte Anfang Februar 2021 ins Bodenlose – aktueller Kurswert 0,38 €. Anfang Februar 2020 wurden in wenigen Tagen rd. 4,5 Mrd. € Anlagevermögen verbrannt. Auf philippinischen Treuhandkonten „gebuchte“ Firmenanlagen in Höhe von 1,9 Mrd. € erwiesen sich als getürkte Luftbuchungen und sind am Ende unauffindbar.

3.) Die ohnehin dramatische Staatsverschuldung Italiens hat sich nach der großen Finanzkrise in den Jahren 2009 bis 2019 noch mal um 30 % auf rund 2,4 Billionen € erhöht. In der Corona-Lockdown-Krise kamen noch einmal rd. 200 Milliarden oben drauf, so daß im Januar 2021 rund 2,6 Billionen € Staatsschulden in den Büchern standen. Ende offen und ohne dass es in den zurückliegenden Jahren gelungen wäre auch nur eine ernsthafte Strukturreform wirklich erfolgreich voranzubringen.

4.) Die Geldmenge M3 (Bargeld und Giralgeld  (M1) + Termin- und Spareinlagen (M2) sowie Geldmarkpapiere und Schuldverschreibungen) der EZB hat sich nach dem Ende der großen Finanzkrise um sage und schreibe 5 Billionen € auf 14,5 Billionen € (Ende 2020) erhöht. Allein im Jahr 2020 erhöhte sich die Geldmenge M1 (Bargeld + Sichteinlagen) in den USA um nicht weniger als 50 % (!) auf 6,2 Billionen Dollar. Das entspricht rd. 10 % des US-amerikanischen BIP.

Reformstau

Diese traurige Liste ließe sich noch um eine Fülle von ähnlichen Beispielen erweitern. Die Alarmzeichen sind im Grunde unübersehbar und für den der es hören will auch unüberhörbar. Das Problem ist nur, dass die dringend notwendige Therapie nur um den Preis schmerzhafter Einschnitte zu haben sein wird und dass es für solche Reformen momentan keine nennenswerte Lobby gibt.

Die Amazons, die Apples, die Googles und die Microsofts dieser Welt stehen als Reformtreiber jedenfalls definitiv nicht zur Verfügung. Auch die kleineren Magnaten an den Finanzmärkten werden keinen Finger rühren, solange die atemberaubende Bonanza weitere leicht verdiente Renditen verspricht. Zu groß sind für alle, die schon drin sind und weiter heftig „mitwetten“, die Profitperspektiven des Status quo.

Ob die immer deutlicher hervortretenden sozialen Bruchzonen der fortgesetzten Ungleichverteilung der Einkommens- und Vermögenswerte genug Reformdruck erzeugen werden, um ein Roll back zu erreichen, ist momentan mehr als fraglich. Die Geldflut macht nicht nicht nur die Spitzengruppe der Big Money-Fraktion fortwährend reicher, sondern lässt auch für die Zuschauer am Rande der Arena noch genügend sedierende Krumen übrig. Die realwirtschaftlichen Verwerfungen und vor allem auch die Inflationsrisiken für Güter des täglichen Bedarfs bleiben noch weitgehend hinter der Kulisse verborgen. Das heißt, die Alarmglocken klingeln zwar, aber noch nicht annähernd laut genug.

Ohne Einsicht, keine Reform

Um dennoch Bewegung in die Sache zu bringen, sind die großen demokratischen Gemeinwesen des Westens insgesamt gefordert. Sie müssen erkennen, dass das gefährliche Vabanque-Spiel die ökonomische Basis in Gänze gefährdet. Und so schwer es fällt, sich der Faszination vor so viel unternehmerischem Geschick zu entziehen: Die jüngsten vor allem corona-lockdown-induzierten Bezos-Milliarden*** sind eben nur noch nachrangig das Resultat einer beeindruckenden Geschäftsidee, sondern weit überwiegend Ergebnis kreditgetriebener Spekulation im Rahmen einer Art Corona-Sonderkonjunktur.

*In der Fachwissenschaft gilt das Jahr 1981 als „Schlüssseljahr“ für die Zinswende. Damals erreichten die Umlaufrenditen, also die durchschnittlichen Verzinsungen der Staatsanleihen, letztmalig Spitzenwerte. Ab da fielen die gängigen „Leitzinsen“ – abgesehen von kurzen „Erholungsphasen“ – kontinuierlich und sackten schließlich unter Null.

** In dem verlinkten Beitrag von Tagesschau.de wird das komplette Dilemma der Entwicklung deutlich: Schwer zu korrigieren, ist nämlich nicht nur der Problemkomplex selbst, sondern auch die lückenhafte, stark relativierende Berichterstattung darüber. Statt die eigentlichen Fakten und Hintergründe aufzudecken und die eigentlich Verantwortlichen in Frankfurt, Berlin und Brüssel klar zu benennen, sind es laut Tagesschau.de „gierige“ Lokalfürsten, die auf dubiose Geldinstitute reinfallen, statt das mühsam erarbeitete Steuergeld – mit hohen Verlusten(!) – bei der örtlichen Sparkasse zu parken. – Ergänzend hier nur der Hinweis: Seit 1. 10. 2017 sind die Einlagen der Kommunen, der Länder und des Bundes bei Privatbanken nicht mehr über die „freiwillige Einlagensicherung“ geschützt.

*** Die Firma Amazon hat ihren Umsatz allein im „Krisenquartal“ 4/2020 um 125 Mrd. Dollar gesteigert, bei einem Rekordgewinn von 7,2 Mrd. Dollar. Der Aktienkurs hat sich 2020 um mehr als Zwei-Drittel erhöht. Die Belegschaft wuchs in den Monaten des harten Lockdown im Jahre 2020 im Schnitt um 1.400 Mitarbeiter/innen täglich (!) auf nunmehr rd. 1,2 Millionen Beschäftigte (größter privater Arbeitgeber weltweit). – Im Gegensatz dazu schießt der Aktienkurs der Fa. Tesla zwar ebenfalls durch die Decke, Elon Musk machte mit seinen E-Autos jedoch seit Bestehen des Unternehmens real stets nur Verluste. Im Jahre 2020 konnte zwar erstmals ein „Gewinn“ von 720 Millionen Dollar vermeldet werden, aber dieser Gewinn kam nicht über den Verkauf von Autos, sondern über den „Verkauf“ von CO2-Zertifikaten in Höhe von 1,6 Mrd. Dollar an die Konkurrenz zustande.