Rückblickend betrachtet, war Geld seit den ersten Münzprägungen vor rund zweieinhalbtausend Jahren, ein ausgesprochen knappes Gut. Um gleichzeitig Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel sein zu können, war die Knappheit des Geldes geradezu systemimmanent. Man rechnete in „kleiner Münze“, ein „Batzen Geld“ entsprach vier Kreuzern und der „Dukatenesel“ trabte nur durchs Märchen. Erst als die ersten „Notenbanken“ im 17. Jahrhundert anfingen Papier zu bedrucken, erhöhten sich „Nennwert“ und „Stückelung“. Das Geld löste sich vom (seltenen) Edelmetall und wurde zum bedruckten „Schein“. – Und heute? Wo stehen wir heute? Schluss mit Hundert! Schluß mit Tausend, Schluß mit der Million. 1000 Millionen! 100 Milliarden!, 500 Milliarden! Wer bietet mehr? Keine halben Sachen! 1000 Milliarden müssen es schon sein.
Als vor wenigen Tagen Madame Lagarde im Euro Tower vor die Presse trat und der Öffentlichkeit ihre schmucke neue Geldkanone präsentierte, blitzte und blinkte es bis in die hintersten Reihen. 600.000.000.000 € stand draußen auf der Mündung. Den Banken die Staatsanleihen aus den Tresoren herauskaufen. Prophylaktische „Bankenrettung“ im Schatten der Corona-Krise! Und natürlich, ohne es offen auszusprechen: Pralle Staatsfinanzierung über die Notenpresse. Public Sector Purchase Programme (PSPP), so der Name der „Dicken Berta“..!
What ever it takes
Doch halt! War da nicht Mitte März schon mal was? Hatte Madame da nicht schon eine Kanone gefüllt mit 750.000.000.000 € präsentiert? – Richtig! Das Ganze damals war aber – trotz der eindringlichen „What ever its takes-Rhetorik“ – irgendwie in den Gassen des Frankfurter Eastends verhallt und deshalb musste die reiche Tante nun kaum zweieinhalb Monate später noch mal zwei Etagen tiefer in die Tasche greifen.
Kumuliert 1.350.000.000.000 € ! Krisenfeuerwehr aus dem Geldschlauch! Und nun auch unter Aufgabe aller wesentlichen Kaufrestriktionen. Waren die Aufkaufkontingente bisher länderweise quotiert, sollten nun vor allem die Hochschuldenländer des europäischen Südens profitieren. Kaum mehr kaschiertes Ziel: Die „Schuldenberge“ der Griechen, Italiener, Spanier etc. klumpenweise abbaggern und in die Notenbankbilanz hineinschaufeln. Ende des Jahres dürften – das steht jetzt schon fest – die Tresore im Euro Tower vor Ramsch-Anleihen nur so überquellen: Griechen-Bonds, italienische titoli di stato, französische obligations gouvernementales – alles in rauhen Mengen.*
Staatsfinanzierung über die Notenpresse
Wer im vergangenen Jahr noch geglaubt hatte, der im Zuge der Finanzkrise bis Ende 2018 auf 2.600.000.000.000 € angeschwollene Draghische „Staatsschatz“ würde „nur“ um die im November 2019 wieder aufgenommenen Anleihekäufe von 20.000.000.000€ pro Monat wachsen, hatte sich mächtig getäuscht. Denn nach dem Subprime-Desaster, der Lehman-Pleite und der Euro-Krise konnten sich die Matadore im Frankfurter Eastend auf ein neues, alle Grenzen sprengendes Zauberwort namens Corona berufen. Und niemand schien es ihnen übel zu nehmen. Applaus von allen Rängen. Kopfnickende Zustimmung aus den Regierungszentralen und ganz viel mediale Begleitmusik im Dur der Euphorie und getragen vom Dauer-Crescendo eines reinen Hoforchesters.
Heh Mann! Schon wieder diese Quertöne! Bleib doch ruhig sitzen und hör auf rumzumosern. Sei doch froh, dass das Orchester weiterspielt. Wir können keine Partyschrecks gebrauchen. Und außerdem: Was soll denn passieren? Gelddrucken tut doch niemandem weh! – Doch! Nur wahrhaben, wills momentan keiner. Und laut darüber reden und kritisch darüber schreiben schon mal gar nicht.
Negativer Realzins
Was hier seit gut einem Jahrzehnt abgeht und ständig an Tempo gewinnt, ist ein megalomanes Easy-Money-Experiment auf Kosten der Sparer und zu Lasten der heranwachsenden Generationen. Nach Schätzungen der DZ-Bank entgingen den deutschen Sparern durch die Niedrig-Zins-Politik der EZB allein zwischen 2010 und 2017 – saldiert um die Kreditzinsersparnis – reale Zinserträge in einer Größenordnung von 250.000.000.000 €. Da jetzt schon absehbar ist, dass sich die Null- bzw. Negativzinspolitik – dank Corona – in den nächsten Jahren eher noch verstärken wird, dürfte sich diese Summe in den 2020er Jahren weiter rasant erhöhen.
Jay`s-Market
Vielleicht noch gravierender schlägt sich das Easy-Money-Projekt auf den Kredit- und Wertpapiermärkten nieder. Wer die aktuelle Kursentwicklung an den großen Leitbörsen in New York, London, Tokio und Frankfurt beobachtet, kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Obwohl wir uns in der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit befinden, die Unternehmensgewinne dramatisch einbrechen und massive Insolvenzwellen drohen, erklimmen Dow Jones, Nikkei und DAX eine Rekordmarke nach der anderen.
In den USA spricht man – orientiert am Vornamen des US-amerikanischen Notenbankchefs Jerome (Jay) Powell – im Zusammenhang mit dem Geschehen an der New York Stock Exchange (NYSE) bereits von „Jay`s-Market“.** Das heißt, die Börsianer richten ihre Kaufentscheidungen beinahe auschließlich an der überbordenden Liquiditätsversorgung der FED aus. Andere Indikatoren, reale Unternehmensdaten, volkswirtschaftliche Fundamentaldaten scheinen überhaupt keine Rolle mehr zu spielen.
Scheinkonjunkturen
Zwischenzeitlich hat sich die Bilanzsumme der FED in die astronomische Höhe von 7.170.000.000.000 $ geschraubt. Nicht nur über den beinahe unlimitierten Aufkauf von Staatsanleihen, sondern darüber hinaus auch über den ausufernden Ankauf von Unternehmensanleihen erzeugt die FED an den Kapitalmärkten irre Scheinkonjunkturen und vor allem ein absurdes Moral Hazard-Phänomen. Die Anleger verlassen sich blind auf die schier unversiegbare Liquiditätsquelle und die Notenbankgouverneure sind gezwungen immer höhere Geldtranchen in den Markt zu pumpen, damit das absurde Vabanque-Spiel nicht kippt.
Momentan ist schwer abzusehen, wohin uns diese Geisterfahrt führen wird. Nachdem mittlerweile auch die Fiskalpolitik – angesichts der weltweiten Corona-Shutdown-Krise – dabei ist immer neue riesige Kreditengagements einzugehen, erreichen die Schuldenberge schwindelerregende Höhen. Das Ganze spielt sich trotz der gigantischen Größenordnungen verblüffenderweise immer noch weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit ab. Wie in vielen anderen Politikfeldern haben sich große Teile der Medien entschlossen, das Thema möglichst zu verschweigen oder doch zumindest möglichst niedrig zu hängen. Statt kritisch den Finger in die Wunde zu legen, dominiert auch hier ein merkwürdiger Konformismus, verbunden mit dem Ziel möglichst viel Flankenschutz für eine Politik zu geben, die längst aus dem Ruder gelaufen ist.
Strömungsabriß?
Auch ausgefeilte Levitationsprojekte kommen an ihre Grenze, wenn der Treibstoff ausgeht und die Erdanziehungskraft ihren Tribut fordert. In Sachen „Easy-Money-Project“ geht der Treibstoff zusehends zur Neige. Die Flügel flattern bereits und der Strömungsabriß zeichnet sich auf den Instrumenten in den Cockpits bereits deutlich ab. Hoffentlich gelingt das Umsteuern in den Gleitflug und die kontrollierte Notlandung. Ein ungebremster Aufprall wäre verheerend.
*Die jüngste Kritik des Bundesverfassungsgerichts am „Laissez-faire“ der EZB und dessen Aufforderung an die Frankfurter Währungshüter die „Easy-Money-Politik“ wenigstens besser zu erklären, bringen leider im Blick auf die beschriebene Praxis keine wirkliche Entlastung. Die EZB empfindet diesen Einwand von der Seitenlinie eher als Motivation das Tempo zu erhöhen. Aufseiten der Bundesregierung wurde deutlich signalisiert, dass man das BVG-Urteil vom 5. Mai 2020 als „nicht hilfreich“ empfindet.
** Selbst in Kreisen der Börsianer bekommt man angesichts der Entwicklungen auf Jay´s Market langsam kalte Füße. „Wie können Märkte wirtschaftliche Entwicklungen spiegeln, wenn es keine grundlegenden Aspekte für die Märkte mehr gibt ausser der von den Notenbanken zur Verfügung gestellten Liquidität?“