Nur wenige Geschichtsmetaphern wurden in den zurückliegenden Jahrhunderten so oft strapaziert, wie das Pyrrhus-Motiv: Kriegslüsterner Fürst fordert die römische Republik heraus, setzt aus Griechenland kommend nach Unteritalien über und siegt in offener Feldschlacht. Das Problem: Seine Siege sind derartig verlustreich, dass er schließlich vom eigenen Triumph aufgefressen wird. Die resignative Wendung des antiken Hellenen-Königs von wegen „Noch so ein Sieg und ich bin verloren!“ hallt seitdem wellenförmig durch die Geschichtsbücher und gereicht immer wieder denen zur Mahnung, die vor lauter Triumphalismus den Blick für die Wirklichkeit verlieren. – Die Druckwellen rund um die US-Präsidentschaftswahlen, die aktuell über den großen Teich zu uns herüber wabern, sind wie gemalt für die alte Pyrrhus-Metapher: Verlierer, die sich zu Siegern erklären, vielstimmiges Triumph-Getöse, das lautes Pfeifen im dunklen Wald ersetzt und all das orchestral begleitet von wilden Schlachtrufen auf allen Kanälen. „Pyrrhussiege“ weiterlesen
Fin de Siècle
Als vergängliche Wesen unterliegen wir einem ehernen Bewegungsgesetz, bestehend aus Geburt, Werden, Altern und Tod. Dieser Vierklang prägt unser Dasein, ob wir es wollen oder nicht. Entscheidend ist die Art und Weise, wie wir die einzelnen Phasen unseres menschlichen Seins gewichten. Oder besser: wie wir unseren individuellen Standort in Zeit und Raum verorten. Das Kleinkind blickt anders auf die Welt als der Greis. Der Christ anders als der Hindu und der Darwinist anders als der Pazifist. Was uns jedoch alle eint, ist die Neigung, die Wechselfälle unserer eigenen Existenz auf den großen historischen Zusammenhang zu projizieren. Geschichte, so der immer wiederkehrende Tenor, ist zyklisch. Kulturen werden geboren, wachsen, altern und sterben. Zivilisationen kommen „zur Welt“, erklimmen die Leiter hinauf zur Hochblüte, überschreiten ihren Zenit, fangen an zu verblühen und verschwinden manchmal über Nacht! – Was soll uns das sagen? Ist das nicht abstrakte Geschichtsphilosophie? Wo sind da die Anknüpfungspunkte zu unserer Gegenwart? „Fin de Siècle“ weiterlesen
Mehr Mut!
Das Jahr 2020 wird – das steht vor seinem kalendarischen Ende bereits unabwendbar fest – definitiv als „Jahr der Angst“ in die Geschichtsbücher eingehen. Angst vor dem Virus, Angst vor der Pandemie, Angst vor der exponentiellen Kurve! Und spätestens seit klar wurde, dass das Virus sich in einer zweiten Welle noch einmal aufbäumen würde, mischt sich die Angst um die eigene Gesundheit mit einer wachsenden Angst um die eigene wirtschaftliche Existenz und die soziale Kohäsion in unserer Gesellschaft! – Was passiert da gerade mit uns? Haben wir – abgesehen von den medizinischen und finanziellen Ressourcen – überhaupt die notwendigen mentalen Reserven, um uns gegen das Virus der Angst zu wappnen? Oder anders: Haben wir ausreichend Mut-Reserven, um den Angst-Überschuss zu kompensieren? Kann uns ein Blick in unsere eigene Geschichte, in die nahe und die ferne, Hilfestellung beim Meistern des aktuellen Geschehens bieten? „Mehr Mut!“ weiterlesen
Aus Zwei mach Eins
Wer heute im Jahre 2020 zu nationalen Gedenktagen einlädt, muss mit einer Fülle von Absagen rechnen. Nicht nur wegen Corona, sondern auch, weil das „Nationale“ in der Gedankenwelt des beginnenden 21. Jahrhunderts massiv an Strahlkraft und politisch-medialem Flankenschutz verloren hat. Zukunft, so der breite Tenor, ist heute entweder global oder auf diverse Art atomistisch. Wer hier trotzdem auf nationale Besinnung pocht, muss sich immer öfter den Vorwurf der politischen Einfalt und geistigen Enge gefallen lassen. – Wenn das aber so ist, warum begehen wir an Tagen wie dem 3. Oktober überhaupt noch Nationalfeiertage? Nur weil es noch keinen global anerkannten „Weltfeiertag“ gibt? Oder weil wir im Gegenteil – trotz des verheißungsvollen Modernisierungsversprechens unserer „Vordenker“ – doch noch im tiefsten Innern spüren, dass da etwas ist, was uns zusammenhält. Etwas was uns aneinander bindet und etwas was wir – um den Preis der fortschreitenden Desolidarisierung – doch nicht einfach leichtfertig verspielen sollten…? „Aus Zwei mach Eins“ weiterlesen
Der große Rückstau
Nachhaltige Problemlösungen in komplexen politischen und ökonomischen Systemen sind in der Regel nicht ohne schmerzhafte Nebenfolgen zu haben. Realiter lässt sich das exemplarisch vor allem an schmerzhaften Roßkuren zur Bewältigung von Wirtschaftskrisen beobachten, wo erfolgreiche Therapien immer mit Marktbereinigungen, Ausgabenkürzungen und/oder Firmenschließungen verbunden sind. Besonders schmerzhaft sind die Folgewirkungen, wenn die Problemlösung über Jahre hinweg verschleppt wurde. Das heißt, wenn nur an den Symptomen kuriert wurde, aber die eigentliche „Erkrankung“ in ihrer spezifischen Virulenz unbehandelt blieb. Was wir dann erleben, ist ein klassischer Problem- bzw. Therapie-Rückstau, der sich hinter einer hermetisch wirkenden Staumauer bedrohlich auftürmt, für die Menschen jenseits der Barriere unten im Tal in der Regel aber nur schwer erkennbar ist. Obwohl gelegentlich an der einen oder anderen Stelle Risse im Mauerwerk erkennbar werden und manchmal sogar einige Beunruhiger oben von der Mauerkrone herab Warnungen herunterrufen, bleibt es merkwürdig still im trockenen Tale. „Der große Rückstau“ weiterlesen
Meine Schublade, deine Schublade
Wer in diesen Tagen eine Weile unvoreingenommen auf unsere Debattenlandschaft schaut und inmitten des ganzen Lärms und des aufgewirbelten Staubs einen Moment lang innehält, der kriegt es unweigerlich mit der Angst zu tun. Statt Diskussion, Austausch von Argumenten und notwendiger Differenzierung entladen sich ganze Litaneien von Pöbeleien, Schuldzuweisungen und Verwünschungen. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich! Wer meine Wahrheit nicht vollumfänglich teilt, ist draußen. Die Wahrscheinlichkeit bei der Artikulation eines bestimmten Buzzwords, beim Vertreten einer abweichenden Meinung automatisch und ohne Umwege in eine Schublade gesteckt zu werden, war selten so groß, wie in unserer aufgewühlten, hyperventilierenden Gegenwart. – Was ist da los? Sind wir übergeschnappt? Was passiert, wenn man jedem Gesprächspartner, kaum hat der Wortwechsel richtig begonnen, reflexhaft einen Stempel aufdrückt? Hört das wieder auf? Kommen wir da wieder raus? „Meine Schublade, deine Schublade“ weiterlesen
Wissen schaffen
Wer heute nach der Bedeutung der Wissenschaften für die moderne Gesellschaft fragt, begibt sich auf ein merkwürdig polarisiertes Terrain. Was vor wenigen Jahren noch als exklusive Domäne hochspezialisierter Fachzirkel galt, hat zwischenzeitlich seinen Weg in überregionale Tageszeitungen und in die einschlägigen Blasen der sozialen Medien gefunden. Sorgen bereitet dabei vor allem der apodiktische Ton der Debatte. „Wissenschaftsgläubige“ stehen gegen „Wissenschaftsleugner“. „Alternativlose Fakten“ gegen „Fake News“ und „Wahrheit“ gegen „Verschwörungstheorie“. Unter Druck gerät in diesem Kontext nicht nur das vermittelnde Dazwischen, sondern auch die methodische Essenz moderner Wissenschaft. „Wissen schaffen“ weiterlesen
Go West
Langsamer Kameraschwenk: Spektakulärer Sonnenuntergang, grasbedeckte Prärie bis zum Horizont, wettergegerbter Cowboy reitet, lässig die Zügel in der Linken, gen Westen. Schnitt!: Morgenlicht aus dem Osten, aufgeblähte Segel, verwegene Kapitäne auf den Brücken hölzerner Nußschalen verlassen den Hafen und fahren aus gen Westen, Richtung „Neue Welt“. Noch ein weiterer Schnitt, aber etwas weniger theatralisch: Knochiger, hochgewachsener Politiker steht am Rednerpult des Deutschen Bundestages und verkündet in rheinischem Dialekt die unwiderrufliche Westbindung der jungen (Bundes-)Republik. Starke Bilder! Starke Motive! Sinnbilder für Wegmarken auf dem episch langen Marsch der Europäer Richtung Westen. – Und heute? Was ist heute? Was ist aus dem Go West der frühen Ausfahrten, der Siedlertrecks über die Great Plains und der Nachkriegsbündnisse geworden? Zieht uns das Licht der Sehnsuchtsorte jenseits des großen Ozeans immer noch an oder weist unser Kompaß längst in eine andere (Himmels-)Richtung? „Go West“ weiterlesen
Fallhöhen
Das Leben ist ein Auf und Ab. Wer will es bestreiten. Mal läufts wie geschmiert, mal sackt der Traum wie ein leerer Luftballon in sich zusammen. Da wir uns als „Bodenständige“ ganz überwiegend vor und zurück bewegen, fällt es uns oft schwer, die Veränderung in der Vertikalen angemessen zu verstehen. Während uns in der Horizontalen regelmäßig das Schrittmaß reicht, um Entfernungen zu „ermessen“, verwenden wir in der Höhe viel öfter die mathematische Relation, zumeist ausgedrückt in Prozenten, mit positiven oder negativen Vorzeichen. Das hilft in der Regel das Auf und Ab besser zu verstehen. Was wir dabei regelmäßig verkennen, ist die Tatsache, dass die Dimension des Auf und Ab wesentlich mit der Ausgangslage variiert. Anders formuliert: Um so exponierter unser Standort, um so mühsamer die nächste Stufe und um so tiefer der Fall, wenn es mal bergab geht. Und um so niedriger das Ausgangsniveau, um so größer die Aufstiegschancen nach oben und um so geringer die Fallhöhe nach unten. „Fallhöhen“ weiterlesen
Animal sociale
In diesen Tagen ist viel von Solidarität die Rede. Von Zusammengehörigkeit, von gegenseitiger Hilfestellung und wechselseitigem Miteinander. Die Krise schweißt uns zusammen! Überwindet gewachsene Barrieren und formiert eine allgegenwärtige Notgemeinschaft. Ja, möchte man sagen. Da ist was dran. Die Hilfsbereitschaft der Ärzte und Pfleger gegenüber den Corona-Patienten ist vorbildlich. Auch die großen Solidargemeinschaften leisten in diesen schwierigen Zeiten Beachtliches. Doch wie ist es mit dem allgemein verordneten „Social distancing“? Kann man auch hinter der Maske und über 2 Meter Abstand hinweg solidarisch sein? Und was ist mit den geradezu riesenhaften Hilfspaketen? Sind die nicht fast alle national „begrenzt“? Grenzüberschreitend im Weltmaßstab kommt momentan nur wenig zustande! Im Gegenteil: Reisewarnungen bleiben bestehen und Grenzsperren werden nur widerwillig gelockert. – Also was ist nun: Solidarisierung oder Desolidarisierung? Sitzen wir alle in einem Boot oder rudert doch jeder für sich? „Animal sociale“ weiterlesen