In unserer nüchternen, von sterilen Formen und rechenhaftem Pragmatismus geprägten Welt gibt es nur noch wenige Nischen, in denen sich das traditionelle Ritual mit feierlichem Glanz und wärmespendender Botschaft offenbart. Die durchgreifende Entzauberung unserer historisch-kulturellen Überlieferung erfasst zunehmend auch die letzten Rückzugszonen der großen Traditionen. – Die Widerstände gegen diesen latenten „Fortschritt“ sind – wenig überraschend – dort besonders groß, wo sich alte, gewachsene Institutionen hartnäckig dem Zug der Zeit widersetzen. Eine besonders widerständige Kraft in diesem stetigem Ringen um die Bewahrung des Überlieferten, ist die Monarchie. Eine Institution, die der (republikanischen) Moderne – trotz Anachronismus-Verdacht – einfach partout nicht weichen will.
Aura des Monarchischen
Einen vagen Eindruck von der besonderen Aura des Monarchischen vermittelten in diesen Tagen die Bilder aus der westlich von London gelegenen Residenzstadt Windsor. Begleitet von großem Pomp und volksfestartiger Begeisterung feierte ein Enkel der britischen Königin seine Hochzeit mit einer US-amerikanischen Schauspielerin. In einem langgezogenen, aber stets würdigen Ritual gaben sich die beiden Hochzeiter in der gotischen St. George-Chapel zu Windsor das Ja-Wort fürs Leben. Musikalisch umrahmt von sakralen Klängen und eingebettet in den großen Chor der Festgemeinde schien für einen kurzen Moment die Zeit stehen geblieben. Still, etwas pathetisch, aber dennoch würdevoll zelebrierte sich die britische Monarchie für wenige Stunden selbst und hinterließ im großen Rund des Auditoriums ein Gefühl der emotionalen Ergriffenheit…!
Kritik und Häme
Ok! Ich weiß schon! Genau an dieser Stelle werden sich die Kritiker laut und vernehmlich zu Worte melden: Alles nur rituelles Blendwerk. Abgehobener Pomp im elitären Kreis. Unreflektierte Folklore, konstümiert mit überteuerter Garderobe und ganz viel Chi Chi! – Wer so spricht, hat all diejeinigen auf seiner Seite, die seit jeher historisch gelebte Emotion als hoffnungslos anachronistisch abgetan haben. Dazu die große Gruppe der Spötter und Parodisten, die sich seit Ewigkeiten einen Spaß daraus machen, auch das Stilvolle der Lächerlichkeit preis zu geben.
Wer so spricht und eifrig spottet, verkennt auf krasse Weise, das unstillbare Verlangen selbst des modernen Menschen nach geschichtlich überlieferten Wärmepolen. Wenn die Braut mit einem viktorianischen Diadem im Haar die Stufen der königlichen Taufkirche herabschreitet und der Bräutigam seiner Braut, bekleidet mit der Galauniform der königlichen Garde, in den vierspännigen Landauer hilft, dann ist das mehr als nur billige Folklore, sondern die gestenreiche Manifestation einer Welt, die sich Tradition, Stil und Würde bewahrt hat.
Tradition, Stil und Würde
Wer die Sache allein von dieser Warte aus betrachtet, nimmt zugegebermaßen einen dem Geschehen sehr zugewandten Blickwinkel ein. Selbstverständlich kann es nicht darum gehen, der Rückkehr zu den Feudalgesellschaften des Mittelalters und der frühen Neuzeit das Wort zu reden. Das bürgerliche Europa mit seinen demokratischen und rechtsstaatlichen Errungenschaften hat der absolutistischen Monarchie zu Recht die Tür gewiesen und Gott sei Dank den modernen Verfassungsstaat an die Stelle der alten feudalen Autokratien gerückt.
Vernunft-Royalismus
Dennoch: Nicht aus Mitleid, sondern aus wohl erwogenenen Vernunftgründen haben die Verfassungsväter und Verfassungsmütter der bürgerlichen Demokratien in vielen Ländern der Welt darauf verzichtet, mit der Demokratisierung der nationalen Gemeinwesen, gleichzeitig auch die Königinnen und Könige in die Wüste zu schicken. Die konstitutionelle oder besser parlamentarische Monarchie hat auch Anfang des 21. Jahrhunderts im Reigen der westlichen oder westlich beeinflußten Welt ihren angestammten Platz. In den weltweit 33 Königreichen* herrscht aufgrund der Commonwealth-Struktur zwar in rund der Hälfte der Staaten die britische Königin (16 Commonwealth Realms), aber weitere Beispiele wie die skandinavischen Monarchien Norwegen, Schweden und Dänemark oder die Königreiche der Niederländer und Belgier belegen die unverminderte Attraktivität dieser traditionellen Staatsform.
The king`s two bodies
In all diesen Ländern fungiert der Monarch und sein Haus als nationale Klammer, oft über territoriale, ethnische oder sprachlich-kulturelle Grenzen hinweg. Angelehnt an den alten Mythos von den „zwei Körpern des Königs“ (Ernst Kantorowicz)** bleibt der Monarch zwar ein Mensch aus Fleisch und Blut, schafft aber über die erbliche Sukzession einen Zustand der prinzipiell unbegrenzten Kontinuität. Die immer wiederkehrende Formel „Der König ist tot, es lebe der König“ gibt den Monarchien die innere Stabilität, die sich andere politische Systeme erst mühsam erarbeiten müssen.
Wenn wir also heute im Jahre 2018 als Republikaner qua Geburt via Internet oder Satellit royalen Hochzeiten beiwohnen, dann erleben wir mehr als nur ein buntes mediales Spektakel. Zumindest für die Briten und die Angehörigen des Commonwealth geht es um eine besondere Form der Selbstvergewisserung in Zeiten des ständigen Umbruchs. Wenn sich Engländer, Waliser, Nordiren oder Schotten; Kanadier, Australier oder Neuseeländer fragen, welchen starken Grund gibt es noch zusammen sein, dann sind es genau diese glänzenden Bilder, die ihnen dieses besondere Gefühl der Zusammengehörigkeit vermitteln.
Für das Gemeinwesen „erwärmen“
Zugegeben: Von unseren französischen Nachbarn wissen wir, so etwas geht prinzipiell auch ohne Monarchen. Es braucht keinen Buckingham-Palace und keine Grenadier Guards, wenn man den Palais de l´Élysée und die Garde Republicaine hat. Was wir jedoch ahnen, ist, dass es trotz aller wirtschaftlichen Erfolge und trotz aller sozialen Errungenschaften nicht ausreicht, ab und zu mal ein andersfarbiges Jäckchen anzuziehen oder bei Neujahrsansprachen das Pult mit Flagge und reichlich Blumenschmuck zu drapieren. Wer will, dass sich die Bürger für das Gemeinwesen „erwärmen“, braucht starke Symbole, integre Identifikationsfiguren und zur Not auch mal einen größeren Schwung an starken Gefühlen. Das heißt, Gefühle, die Gemeinschaft vermitteln und im Nachgang vielleicht helfen größere Herausforderungen zur Abwechselung mal nicht gegeneinander, sondern miteinander zu bewältigen.
* Neben den 33 Königreichen gibt es aktuell als weitere Monarchien, ein Kaiserreich (Japan), ein Großherzogtum (Luxemburg), 3 Fürstentümer (Andorra, Liechtenstein und Monaco), 2 Sultanate (Brunei und Oman), 3 Emirate (Katar, Kuwait und VAR) sowie den Vatikanstaat als völkerrechtlichen Sonderfall.
** Das bahnbrechende Werk „The king´s two bodies“ aus der Feder des deutsch-jüdischen Mediävisten Ernst Kantorowicz erschien 1957 in Princeton und gab wichtige Impulse für die Erforschung der Entstehungsgeschichte des modernen Staates.