Strukturbruch statt Strukturwandel

Moderne Ökonomien leben vom Strukturwandel. Nur wenn die Produkte und Prozesse laufend überdacht und anhand der Marktlage überprüft werden, besteht Hoffnung auf Wachstum und Fortschritt. Treiber dieses Strukturwandels sind fast ausschließlich Unternehmer, die mit ihren Augen und Ohren am Kunden Neues entwickeln, Prozesse neu strukturieren und neue Märkte erschließen. Wenn der Staat flankierend dazu innovationsfreundliche Rahmenbedingungen setzt und regulatorische Belastungen richtig dosiert, entstehen immer wieder fantastische Erfolgsmodelle mit einem signifikanten Mehrwert für alle Bürger. – Was aber passiert, wenn Politik glaubt, besser zu wissen, was für die Wirtschaft gut ist und darüber hinaus sogar anfängt, Innovationszyklen zu stoppen und auf administrativem Wege neu aufzusetzen? Kann das gut gehen? Geht das wirklich: Strukturwandel ohne Markt durch die politische Hintertür? Oder erzeugen wir, wenn wir so weiter machen, nicht einen unumkehrbaren Strukturbruch?

Am Anfang war der Staat

Historisch betrachtet, steht am Anfang des modernen Wirtschaftens nicht die Markt-, sondern die Staatswirtschaft. Der Merkantilismus des 17. und 18. Jahrhunderts ist staatlich gesteuert und stellt moderne arbeitsteilige Produktionsweisen (Manufakturen) in den Dienst der fürstlich-aristokratisch geprägten Territorialstaaten. Die Volkswirtschaften sind in der Regel protektionistisch abgeschottet und in weiten Bereichen auf den Luxuskonsum der höfischen Gesellschaft ausgerichtet. Die breite Mehrheit der Bevölkerung verharrt auf dem Niveau der Subsistenzwirtschaft und soziale Deprivation bleibt auch am Übergang zum Industriekapitalismus Ende des 18. Jahrhunderts ein Massenphänomen.

Eintritt ins fossilistische Zeitalter

Beispiellos beschleunigt, wird der ökonomische Fortschritt erst durch den weitgehenden Rückzug des Staates aus der Wirtschaft im Kontext des hereinbrechenden bürgerlichen Zeitalters. Massiv dynamisiert durch die Erfindung immer neuer Generationen von fossilenergetisch angetriebenen Motoren agiert sich unternehmerischer Erfindungsreichtum zunächst vor allem in den zentralen Bereichen der Grundstoffindustrie aus. Stahl und Kohle sowie die daraus generierte „Dampfkraft“ sind fast das ganze 19. Jahrhundert hindurch die zentralen Treiber des ökonomischen Fortschritts. Ein Strukturwandlungsprozess, der sich in weiten Bereichen noch auf Kosten einer schlecht organisierten und ständig von Außenseiterkonkurrenz bedrohten Arbeitnehmerschaft abspielt. Profiteure sind fast ausschließlich die Unternehmer selbst und Teile des städtischen Bürgertums.

Konsumkapitalismus

Erst mit dem Aufkommen der Elektroindustrie und der damit einhergehenden dezentralisierten Energieerzeugung, der (Petro-)Chemie mit ihren schier grenzenlosen Möglichkeiten der Produktveredelung und schließlich einer ganzen Reihe von neuen Formen des Konsumkapitalismus (z.B. Massenmotorisierung nach dem Muster von Henry Ford) gelingt der Durchbruch in Richtung auf einen echten Massenwohlstand.  Die grundlegende Verbesserung der Lebensmittelversorgung, der medizinisch-technische Fortschritt sowie die Tatsache, dass sich immer mehr Menschen von ihrem steigenden Lohn langlebige Gebrauchsgüter leisten können, bewirken spektakuläre Wohlfahrtsgewinne in allen Teilen der Gesellschaft.

Prekäres Erfolgsmodell

Dieses Erfolgsmodell bildet bis heute das große Antriebsaggregat der entwickelten Volkswirtschaften. Nie rastend, nie ruhend, immer in Bewegung generiert die Maschine immer neue Produktzyklen, immer neue Innovationen und vor allem dank der „unterirdischen Wälder“ immer neuen Wohlstandszuwachs. Wie prekär dieses Modell dennoch ist, zeigen die großen Wirtschaftskrisen der letzten Jahrzehnte. Allesamt zwar keine Hunger- oder Verknappungskrisen, sondern klassische „Überkonsumptionskrisen“, aber mit beträchtlichem Kontraktionspotential.

In diesem Kontext hat der Staat als Wirtschaftsakteur und „soziales Korrektiv“ immer wieder die Notwendigkeit zur Intervention gesehen. Im Rahmen der Bismarckschen Sozialgesetzgebung, im Zuge des sog. „New Deal“ unter Franklin D. Roosevelt in den 30er Jahren und im Kontext der vielen „neokeynesianischen“ Konjunkturprogramme  der 60er und 70er Jahre griff der Staat immer wieder korrigierend in die wirtschaftlichen Abläufe ein. Unterfüttert vom Mehrprodukt der wettbewerblich orientierten Marktwirtschaften entstehen auf diese Weise vor allem in Kontinentaleuropa, Sozial- und Wohlfahrtsstaaten mit ausgeprägten Strukturen der sozialen Sicherung.

Fehlsteuerungspotentiale

Obwohl sich dieser Königsweg der sozial abgefederten Marktwirtschaft eigentlich als unschlagbares Referenzmodell erwiesen hat, gerät das System immer wieder in Bedrängnis, vor allem dann, wenn sich politische Kräfte durchsetzen, die nicht nur moderat korrigieren, sondern direkt steuernd in die großen Innovationsprozesse eingreifen wollen. Das eindrücklichste Lehrbeispiel für das Fehlsteuerungspotential dieser Extremform staatlicher Intervention ist ohne Zweifel der real existierende Sozialismus. Niemals vorher und niemals danach wurde staatliche Wirtschaftssteuerung so exzessiv übertrieben wie in der Sowjetunion ab 1917 und später im sog. Ostblock zwischen 1945 und 1991.

Nun könnte man meinen, das grandiose Scheitern dieser Art des überschiessenden Staatsinterventionismus hätte uns schlauer gemacht und uns überdeutlich offenbart, wie es definitiv nicht geht. Wie wenig wir dennoch aus der Geschichte gelernt haben, zeigen die aktuellen bzw. sich bereits konkret abzeichnenden massiven Eingriffe staatlicher Administratoren in eigentlich wettbewerblich geprägte Innovationszyklen, vor allem in der Energiewirtschaft, der Automobilindustrie und in der Agrarwirtschaft.

Grüner Interventionismus

Das Neue an diesem Interventionsschub ist die Tatsache, dass die Eingriffe nicht mehr sozial, sondern ökologisch bzw. klimapolitisch begründet werden. Der staatliche „New Deal“ kommt nicht als soziales Förderprogramm, sondern stets als „Green Deal“* daher. Das heißt, die Umverteilung wird nicht mit Zielen der sozialen Gerechtigkeit legitimiert, sondern als Programm zur Rettung des Weltklimas deklariert. In beiden Fällen sind bürokratisch-staatsinterventionistische Maßstäbe handlungsleitend und in beiden Fällen werden die Eingriffe durch große Beamtenapparate umgesetzt.

Eine lediglich untergeordnete Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Unternehmer, die eigentlichen Innovatoren. Sie sind in diesem Prozess nur noch ausführende Organe einer ansonsten zentral gelenkten Behördenstruktur aus Umweltministerien, Umweltämtern und Klimaräten. Maßstäbe der Planung sind neben den „klassischen“ Produktionsmengen und Outputgrößen, vor allem „Klimaziele“, die an Thermometern abgelesen werden. Innovationszyklen, Konsumbedürfnisse oder dezentrale Pläne spielen kaum eine Rolle und werden durch moralische Appelle, Verbote oder sonstige staatliche Regulierungen ersetzt.

Erzwungene Strukturbrüche

Statt den Energieunternehmen die Möglichkeit zu geben hocheffiziente Kohlekraftwerke zu bauen und damit auch einen zentralen Beitrag zur Modernisierung fossiler Energierzeugung in China oder Indien zu leisten, werden „Riesenmühlen“ staatlich vorgeschrieben und hochsubventioniert in den Markt gedrückt. Statt den Automobilfirmen Raum zur Entwicklung hocheffizienter Verbrennertechnologien und neuer Kraftstoffe zu bieten, werden absurde Flotten(emissions)grenzwerte vorgegeben und der Automobilwirtschaft unverkäufliche E-Autos aufgezwungen. Und statt bäuerlichen Familienbetrieben Anreize zur Implementierung neuer Technologien zu geben, werden Verbots- und Regulierungskaskaden auf den Weg gebracht.

Eisenhüttenstädte**

Wenn der auf diese Weise in Gang gekommene Prozess des Öko-Interventionsmus nicht gestoppt und das marktwirtschaftliche Gebot der Technologieoffenheit nicht bald wieder handlungsleitend wird, sind spätestens ab den 2030er Jahren „Entwickungsbrachen“, wie sie Ende der 80er Jahre in der DDR in Leuna, Schkopau oder Eisenhüttenstadt zum Vorschein kamen, nicht mehr auszuschließen. Hochsubventionierte Batteriefabriken in der brandenburgischen Provinz, staatlich alimentierte Windparks in der norddeutschen Tiefebene und mit ganz viel Steuergeld begünstigte E-Auto-Schmieden vor den Toren Berlins führen unweigerlich in die Sackgasse.

Innovationskräfte freisetzen

Deutschlands großes Alleinstellungsmerkmal ist der innovative Mittelstand mit seinen Tausendfüßler-Innovationen. Hier liegt die Zukunft und hier müsste der Staat ansetzen, um mit guten Rahmenbedingungen wieder Raum zu schaffen für das, was wir eigentlich brauchen: nämlich gute Ideen von privat haftenden Innovatoren, die den Draht zum Kunden haben und die viel besser wissen, wie Strukturwandel auch unter ökologischen Effizienzkriterien erfolgreich gemanagt werden kann.

* vgl hierzu u.a. die Kolumne von Eric Gujer in der NZZ vom 17.1.2020 https://www.nzz.ch/international/in-der-klimapolitik-jagt-die-eu-einer-schimaere-hinterher-ld.1534529?reduced=true

* * Die ab 1950 – zunächst unter dem Namen „Stalinstadt“ – entstandene Plansiedlung im östlichen Brandenburg wurde um ein riesiges, künstlich aus dem Boden gestampftes Eisenhüttenkombinat gruppiert und im DDR-Sozialismus als Vorzeigemodell für einen gelungenen, staatlich gelenkten Strukturwandel gefeiert. Wie weit staatliche Propaganda und Realität hier auseinander lagen, offenbart der „Volksmund“ mit der auf Eisenhüttenstadt bezogenen Wendung: „Schrottgorod“.