Wohin des Wegs, Uncle Sam?

In den letzten Tagen konnte man die Erleichterung quasi mit Händen greifen. Tiefes Durchatmen in den Machtzentralen diesseits und jenseits des Atlantiks und bei fast allen Kolumnisten: Yeah! Trump is over! Die Guten haben gesiegt. Der Springteufel ist wieder in der Kiste. Doch Achtung! Auch wenn Trump von nun an nicht mehr im Oval Office, sondern in seinem Golf-Resort den Schläger schwingt, sind die Gründe für seine Wahl nicht verschwunden. Und auch wenn sich neue Präsidenten gerne in das helle Licht des Neuanfangs tauchen, geht es leider oft nur um einen schalen Neuaufguss des Alten. – Dass sich die USA auch unter Joe Biden weiterhin auf dem Scheideweg befindet, dürfte niemand ernsthaft bestreiten. Die Frage ist nur, wohin geht die Reise? Zurück auf Los oder zu neuen Ufern?

Was sich nach den Inauguration-Feierlichkeiten am 20. Januar 2021 auf jeden Fall festhalten lässt: Hollywood is back! Youtube ist wieder auf Sendung! Und die echten Stars sind wieder mit an Bord.  Schon bei früheren „Krönungsmessen“ zwischen Kapitol, White House und Lincoln Memorial waren „Promis“ aus dem Showbizz mit von der Partie. Auch frühere Amtsträger haben sich an ihrem ersten Tag mit Glitzer und Glamour umgeben.

Das jüngste, von einer renommierten Event-Agentur gestaltete Arrangement stellte bezüglich Starbesetzung, Lobgesang und Ergebenheitsadressen jedoch selbst Obamas „Super-Event“ von 2009 in den Schatten. Neben Tom Hanks traten Lady Gaga, Jennifer Lopez, Justin Timberlake und John Bon Jovi auf die Bühne und rückten den neuen Amtsinhaber an seinem Ehrentag strahlend ins rechte Scheinwerferlicht.

Inauguration-Super-Ceremony

Dass nach dem zugkräftigen, auf allen Kanälen übertragenen Event doch ein wenig Katerstimmung aufkam, hatte sicher ein Stück weit etwas mit der Inszenierung selbst zu tun. Musste wirklich gerade in Pandemiezeiten so dick aufgetragen werden? Hätte da nicht ein bißchen weniger Selbstlob vor der eigentlichen Bewährung ausgereicht? – Ok! Geschenkt!, möchte man antworten. Die Amis neigen nun mal zum Theatralischen. Und unter einem bombastischen Potpourri aus Amazing Grace, Land of Hope and Glory, garniert mit Star-Spangled Bannern in allen Varianten geht es bei solchen Anlässen in Good old America selten ab.

Was aber dennoch irritierte, war der schrille Kontrast des üppigen Bühnenprogramms zum einerseits martialischen, andererseits fast menschenleeren Gesamtrahmen. Lustige Fähnchenparade statt handfester Bürgerbeteiligung und 20.000 Mann Nationalgarde statt bürgerbewegtem Jubelcorso! Gut! Das Ganze ist erklärbar! Corona geht um und wer will schon einen Nebel aus Aerosolen riskieren. Und nach dem „Sturm aufs Capitol“ am 6. Januar schien der militärische Sicherheitskordon um das Washingtoner Regierungsgeviert wohl unumgänglich.

Bilder mit Folgen

Dennoch werfen die Bilder vom 20. Januar unweigerlich eine Reihe von Fragen auf. Was ist von einer Präsidentschaft zu halten, die sich schon in ihren Anfängen mit einer Art Wagenburg umgibt? Welche Signale senden Tausende von Uniformierten mit schweren Waffen an der Pennsylvania Avenue an einem solchen Tag ins Land hinaus? Oder: Muss man angesichts des Staraufgebots und der massiven Bühnenpräsenz der Reichen und Schönen vor gähnend leeren Rängen nicht den Eindruck gewinnen, als würde sich hier wieder einmal nur das liberale Ost- und Westküsten-Establishment selber feiern?

Ok! Wir wollen nicht unfair sein! Die Vorgaben für eine offene Bürgerbeteiligung oder gar für eine engere Einbindung der republikanischen Opposition waren denkbar schlecht. Es herrscht Pandemie und Abstandsgebot. Und Trump hatte sich vor den Feierlichkeiten nach Florida abgesetzt. Seine glühendsten Anhänger hatten sich wenige Tage zuvor vor laufenden Kameras mindestens als Polit-Vandalen geoutet. Wer will solch unsichere Kantonisten schon an der Festtafel begrüßen.

Ausgeladen

Also doch recht getan? Das Neue ist das Alte von vor 4 Jahren! Und 4 Jahre republikanisches Roll back sind doch wohl genug. Es ist Zeit, den Karren zu wenden und das seit 2016 Versäumte schnellstmöglich nachzuholen. Und außerdem: Die 74 Millionen Trump-Wähler haben sich selbst ausgeladen. Wer so einen Wirrkopf unterstützt, ist selber schuld und muss wissen, was er angerichtet hat. Das heißt: Draußen bleiben! Auf Distanz bleiben! Und hoffen, dass irgendwann doch wieder eine Einladung im Briefkasten landet.

So gerne hier viele zustimmen möchten oder sogar offen Beifall klatschen würden, kann dies – und Joe Biden weiß es längst – nicht der richtige Weg sein. Trump, so gern man ihm die Spaltung des Landes zwischen Atlantik und Pazifik zuschreiben möchte, war nicht deren Ursache, sondern nur ein besonders auffälliges Symptom.

Symptom statt Ursache

Die Demokraten und mit ihnen das fast komplette Establishment aus Wirtschaft, Medien und Kultur wären im November 2016 nicht gescheitert, wenn es den Graben zwischen Blau und Rot, zwischen Stadt und Land, zwischen den konservativen Mittelschichten und den progressiven Oberschichten nicht schon damals gegeben hätte. Wenn es nicht schon damals eine krasse Sprachlosigkeit, eine irritierende Funkstille, eine offene Konfrontation über politische Grundsätze zwischen den beiden Lagern gegeben hätte.

Aufmerksame Beobachter wissen nur zu gut, dass diese Funkstille oder besser dieses hektische Morsen auf unterschiedlichen Wellenlängen immer noch da ist. Dass es immer noch virulent ist. Und dass die Anlässe für die Sprachlosigkeit und die Ursachen für das schroffe Gegeneinander immer noch weiterwirken. Mit dem Trumpschen Support  – und das muss man ihm anlasten – im Jahre 2021 sogar noch stärker als je zuvor.

Gräben überwinden

Damit ist die innen- und gesellschaftspolitische Herkulesaufgabe für den neuen Präsidenten bereits klar definiert: Brücken bauen! Diskurskanäle öffnen! Über den eigenen Schatten springen! Und wo immer möglich Kompromisse schließen, um zwischen den weit auseinander liegenden Polen zwischen Links und Rechts wieder so etwas wie eine politische Mitte erkennbar werden zu lassen.

Hauptproblem hierbei dürfte – so kurios es klingen mag – die Überwindung der Barrieren im eigenen Lager sein. Denn so strahlend Bidens Running Mate Kamala Harris mit ihren flotten Sneakers daherkommt und so väterlich-gerecht Bernie Sanders in seinen Strickfäustlingen wirkt, so kompromisslos werden sie selbst und ihre innerparteilichen Bataillone auf eine große Abrechnung mit dem Trumpismus und seinen Anhängern beharren. Das heißt, auch wenn es Joe Biden mit seinem vielfach beschworenen Versöhnungsappell ernst meint – er wird sich diesen Weg erst mühsam im eigenen Lager freikämpfen müssen.

Schwerer Gang

Die Frage nach dem Quo vadis, USA? wird sich – das ist sicher – an der innenpolitischen Front entscheiden. Die ökonomischen und sozialen Schleifspuren der Pandemie und der Lockdown-Maßnahmen werden den Erfolg an dieser Front mit Sicherheit erschweren. Auch ob die unter Trump weiter aufgepumpten Spekulationsblasen an den Börsen und an den Immobilienmärkten weitere 4 Jahre halten, ist mehr als fraglich. Fest steht: Es wird so oder so ein schwerer Gang für den 46. US-Präsidenten.

Weltmacht USA

Die neue Marschrichtung in der Außenpolitik wird – da wird es in den kommenden Jahren noch einige Überraschungen vor allem für Bidens mediale Unterstützer in aller Welt geben – auf zentralen Feldern eher die alte sein. Die USA sind auch unter Biden die letzte verbliebene Weltmacht. Die großen Antipoden bleiben Rußland und China. Die Brandherde in Middle East bleiben auch für die neue Administration die zentralen sicherheitspolitischen Konfliktfelder. Die USA wird Israels Schutzmacht Nr. 1 bleiben und – wie Trump – wird sich Biden um die atomaren Irrlichter Iran und Nordkorea kümmern müssen.

Und was ist mit Europa bzw. Deutschland? Werden wir mit dem neuen Chef im Weißen Haus besser fahren? Sicher vom Stil her und vom verbalen Verständnis. Die Kommunikation wird auf jeden Fall einfacher und weniger von Überraschungen und Mißtönen geprägt sein.

Die Grundausrichtung wird aber auch hier die gleiche bleiben. Auch Biden wird ein verbessertes Burden Sharing innerhalb der NATO einfordern, wenn auch höflicher, und er wird sich offensiv gegen alles wenden, was den Einfluß Russlands auf Kontinentaleuropa stärken könnte. Nord Stream 2 wird auch unter Biden das deutsch-amerikanische Verhältnis belasten und unter der neuen Administration wird das Projekt sogar noch offensiver bekämpft werden, wie unter Trump.

Vitale Interessen

Der Widerwille gegen Bidens Vorgänger im Amte hat uns den Blick auf die großen Kontinuitätslinien in der US-amerikanischen Außenpolitik verstellt. Wir haben geradezu reflexartig bei eigentlich stark innenpolitisch motivierten Vokabeln wie „America first“, einen Trumpschen Expansionismus assoziiert. Dass es hier um den alten inneramerikanischen Gegensatz zwischen „Isolationisten“ und „Globalisten“ geht, hat uns nicht wirklich interessiert. Auch die Tatsache, dass Trump der einzige US-Präsident in einer langen Reihe war, der keinen Krieg begonnen hat und dass es vor allem „Democrats“ waren, die im 20. Jahrhundert große Kriege geführt haben, wurde selten ernsthaft thematisiert.

Glück auf, Joe!

Wir werden sehen, was Biden aus seiner Präsidentschaft macht. Der Start war bunt und voller Glamour, aber ohne das notwendige starke Versöhnungssignal und zudem auch noch ohne die notwendige Substanz.

Wir sollten dem neuen US-Präsidenten Glück wünschen. Nicht so sehr, weil wir uns gemeinsam darüber freuen, dass er nach so vielen Niederlagen und „zweiten Plätzen“ endlich hochbetagt oben angekommen ist, sondern weil wir auch in den nächsten Jahren ohne Uncle Sam, ohne den großen transatlantischen Schutzschirm und ohne Unterstützung Washingtons im internationalen Konzert nicht auskommen werden. Deshalb: Good luck, Joe and God bless America!